Relax (chiarenza & hauser & co)
je suis une femme pourquoi pas vous?, 1995–2001
«je suis une femme pourquoi pas vous?» von RELAX (chiarenza & hauser & co; seit 1983) zeigt eine selbstbewusste Frau, die mit energischem Schritt und einer Axt über der rechten Schulter vorwärts marschiert. Sie blickt dabei siegessicher ihr Gegenüber an. Ihre knallrote Jacke aus Lack, darunter ihr kleines Schwarzes, ihre hohen Schuhe und ihr Lippenstift – in Rot – sind alles Elemente, die ihrer Persönlichkeit Ausdruck verleihen. Gleichzeitig werden diese Attribute von der Gesellschaft als feminin-erotisch konnotiert. Die Frau, wofür die Künstlerin Marie-Antoinette Chiarenza selbst als Modell diente, steht im starken Kontrast zu der männlichen Figur, die auf dem Gemälde im Hintergrund dargestellt ist. Es handelt sich um Ferdinand Hodlers legendär gewordenem «Holzfäller» von 1910, und zwar um die Version, die im Entstehungsjahr des Gemäldes von der Schweizerischen Eidgenossenschaft angekauft wurde. Die Szene spielt sich im Depot des Kunstmuseums Bern ab. Ikonisch wurde das Holzfällermotiv des Schweizer Malers Ferdinand Hodler (1853 – 1918) zum einen deshalb, weil es 1908 von ihm für eine neue 50-Franken-Banknote entworfen wurde und in den folgenden Jahrzehnten schweizweit omnipräsent war. Zum anderen aber auch, weil das Motiv zum Sinnbild «urschweizerischer» Charaktereigenschaften mutierte, das Bodenständigkeit und Willenskraft ausdrückt. Im kollektiven Gedächtnis verankert, wird das wirkungsmächtige Bild immer wieder für öffentliche Kampagnen unterschiedlicher politischer Haltungen instrumentalisiert.1
Für RELAX verkörpern dieses Sujet und ihr Urheber konservative, patriarchale Werte, die es zu überwinden gilt. Der Titel des Werks «je suis une femme pourquoi pas vous?» verweist auf eine feministische Parole, die im Zuge der 68er-Bewegung auf den Mauern von Paris zu lesen war. Ästhetische Kriterien reichen heute nicht mehr aus, um über die Stellung von Kunstschaffenden nachzudenken. Ökonomische Aspekte und Deutungshoheiten müssen ebenfalls berücksichtigt werden: Wer kauft was und bei wem? Wer stellt was aus? Aber auch die Frage «Was befindet sich heute in den Depots der Museen und was wird sichtbar ausgestellt?» ist für RELAX relevant und sollte es auch für uns sein. 2
2001 wurde ein Abzug der Fotografie anlässlich der Ausstellung «Die Kunst der Mobiliar. Innovation und Tradition» im Kunstmuseum Bern als Gegenüberstellung mit der «Holzfäller»-Version in der Sammlung der Mobiliar gezeigt, wodurch das Werksein Enddatum erhielt. 3 Der vorliegende fotografische Abzug wurde hingegen eigens für die Ausstellung «Apropos Hodler. Aktuelle Blicke auf eine Ikone» in einem neuen Format hergestellt. Das ebenfalls angekaufte Diptychon als fotografische Skizze mit dem gleichnamigen Werktitel zeigt verschiedene Varianten des Motivs zusammen mit der Endfassung und wurde ebenfalls eigens für die Ausstellung im Kunsthaus gefertigt. Das Werk von RELAX ist hier als Aufforderung zur kritischen Reflexion über die patriarchal geprägte Gesellschaft in allen Lebensbereichen bis hin zur Kunstgeschichte zu verstehen.
1 Beni Muhl, «Hickhack», in: Hodlers Holzfäller. Die Schweizer Erfolgsserie, Ausst.-Kat.
Kunstmuseum Luzern, hg. vom Kunstmuseum Luzern, Basel 2021, S. 45f.
2 «The Questions to Your Answers. Fanni Fetzer im Gespräch mit Marie-Antoinette Chiarenza und Daniel Hauser von RELAX», in: Prix Meret Oppenheim 2001 – 2002, hg. von Bundesamt für Kultur, Bern 2006, S. 147–167; RELAX (chiarenza & hauser & co) – Was wollen wir behalten?, Ausst.-Kat. Graphische Sammlung ETH Zürich, hg. von Linda Schädler, Wien 2018.
3 Holzwege, Ausst.-Kat. Museo Cantonale d'Arte Lugano, Lugano 2012, S. 156 und 159.