Glacier Dreams, 2023

Refik Anadol
Glacier Dreams, 2023

ln Refik Anadols (*1985 lstanbul, lebt in Los Angeles) Arbeit gehen Kunst und Forschung nahtlos ineinander über: Mit seinem Large Nature Model (LNM), einer KI-gesteuerten Plattform zur Erforschung und Visualisierung kollektiver Umweltdaten, soll den Besucherinnen und Besuchern ermöglicht werden, sich intuitiv mit unserem kollektiven Bildgedächtnis auseinanderzusetzen und sich gleichzeitig auf komplexe Themen einzulassen.

Dall-e, ChatGPT, DeepSeek & Co sind sogenannte überwachte generative KI mit bestimmten ästhetischen «Zielen», bei denen man als Nutzende das Ergebnis zumindest ein wenig vorhersehen kann. Anadol zieht es aber vor, mit unbeaufsichtigtem Machine Learning zu arbeiten. Was bedeutet das genau? Ästhetisch betrachtet, weist Anadol jedenfalls seine ganz eigene Handschrift auf: Seine KI-generierten Filmloops rund um Naturphänomene wie Gletscher- und Eisschmelze, bedrohte Regenwälder und Korallenbleiche, die aus riesigen Datenbanken mit jeweils über 80 Millionen Bildern gespeist werden, vermitteln den Eindruck von Flüssigkeit, Windböen, Entgrenzung und Verschmelzung...

Was steckt hinter dieser besonderen ästhetischen Qualität, ist es das Ergebnis aus einem «unsupervised machine learning»? 1 Anadol gibt dem Prozess des maschinellen Lernens einerseits Raum für das sogenannte «Fantasieren» 2 der Algorithmen, zum anderen sind die Filmloops (es handelt sich hier nicht um in Echtzeit generierte Bildsequenzen) insgesamt sorgfältig vom Künstler und seinem Studio editiert. 3

Am Kunsthaus wird «Glacier Dreams» seit dem 18. Januar 2025 für zwei Jahre permanent im Chipperfield-Foyer im 1. Stock präsentiert. Die Installation ist mit dem gesamten Körper erfahrbar – die Sinne Sehen, Hören und sogar Riechen werden angesprochen und laden dazu ein, über die Auswirkungen der Gletscherschmelze nachzudenken. Die Datenbasis der Bilderflut von über 83 Millionen Fotografien stammt vom Künstler und seinen Recherchereisen zu Eismeeren und Gletschern der letzten Jahre, aber auch von öffentlichen Archiven. Was wir sehen, ist ein Amalgam von Eiswelten, die im konstanten Wandel und in der hier gezeigten Form allmählich leider im Verschwinden begriffen sind. Die 256 LED-Screens der neusten Generation, die Spiegel und Truss-Verkleidung des eigens für das Werk geschaffenen Kubus’ wurden ortsspezifisch für das Kunsthaus Zürich so entwickelt und in Szene gesetzt, dass die Konstruktion zum einen von aussen als Gesamtskulptur und von innen wie ein endlos-immersiver Raum anmutet, zum anderen komplett zusammengepackt und andernorts als Leihgabe gezeigt werden kann.

Die Pixel Anadols sind eine Reminiszenz an die Maltupfer des lmpressionisten Claude Monet, der mit seinen Seerosenbildern raumgreifende Kunst in Form von Malerei vorwegnahm. Anadol hat den Begriff «Data-Painting» geprägt, um seine innovative, KIgesteuerte Technik zu beschreiben, bei der Daten die Palette und Algorithmen den Pinsel ersetzen. Hier entwickeln sich die Bilder dynamisch und nehmen in einem ständigen Fluss immer neue Formen an. Dieser Ansatz hinterfragt den konventionellen Kunstbegriff als abgeschlossenes und statisches Unterfangen.

«Glacier Dreams» ist ein von Julius Bär kommissioniertes, multisensorisches KI-Werk im Rahmen der NEXT-Initiative der Bank, welche die Schnittmenge von Kunst, Wissenschaft und Technologie untersucht. Julius Bär bringt mit dieser Schenkung die Verbundenheit zu ihrer Heimatstadt Zürich zum Ausdruck und möchte Besucherinnen und Besuchern damit ein einzigartiges Erlebnis bieten.

Cathérine Hug, Kuratorin

 

1 Einer von Anadols ersten musealen Auftritten hiess bezeichnenderweise «Unsupervised» am MoMA in New York (2022 – 23); über die kreative Kraft des unbeaufsichtigen bzw. «unsupervised» siehe Refik Anadol, Casey Reas, Michelle Kuo und Paola Antonelli im Gespräch unter https://www.moma.org/magazine/articles/658 (abgerufen 31.1.2025).
2 Nicht zu verwechseln mit dem gefürchteten «Halluzinieren», wo die Outputs falsch oder sehr weit von der Wirklichkeit sind, siehe dazu z.B. https://direct.mit.edu/tacl/article/doi/10.1162/tacl_a_00563/116414/Understanding-and-Detecting-Hallucinations-in (abgerufen 31.1.2025).
3 Weitere technische Informationen liefert das Studio unter https://refikanadol.com/works/unsupervised/ (abgerufen 31.1.2025).

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