Grafische Sammlung

2022 war das erste Jahr, in dem die Kunsthaus-Erweiterung voll in Betrieb war. Die neuen Möglichkeiten, die mit der Erweiterung für die Präsentation von Werken aus der Grafischen Sammlung geschaffen wurden, sind eine grosse Bereicherung. Aber natürlich führen sie auch zu bedeutend mehr Arbeit, und es war eine Herausforderung, mit dem gleich gebliebenen wissenschaftlichen und technischen Team eine fast doppelt so grosse Museumsfläche zu bespielen. Davon zeugt die Zahl der internen Ausleihen von Kunstwerken, die sich im Vergleich zu 2021 fast verdoppelt hat (siehe Abschnitt «Aktivitäten im Lesesaal und Leihgaben»). Es sei an dieser Stelle dem ganzen Team der Grafischen Sammlung herzlich für seinen ausserordentlichen Einsatz gedankt.

Fotografie

Neben Zeichnungen und Druckgrafik, die im Grafikraum und dem sog. «Dreieckli» im 1. Stock des Müller-Baus in wechselnden Präsentationen gezeigt wurden (siehe dazu auch «Ältere Kunst auf Papier»), konnten wir aus der Fotosammlung ebenfalls regelmässig Bestände präsentieren – dies meist in dem schönen Eckraum zum Heimplatz hin, im 1. Stock des Chipperfield-Baus. Dort lassen sich dank der gut regulierbaren Lichtanlage und den Verdunkelungsstoren gute Bedingungen für die Präsentation von Fotografie schaffen, und wir konnten u. a. Werke von Shirana Shahbazi, Andreas Gursky, Fischli / Weiss und Anri Sala zeigen. Aufgrund ihrer hohen Lichtempfindlichkeit müssen diese Bestände genauso wie die anderen Werke aus der Grafischen Sammlung jeweils in einem drei- bis viermonatigen Rhythmus gewechselt werden.

Medienkunst

Viel Bewegung gab es auch im Bereich unserer Medienkunstsammlung. Der speziell für Videokunst eingerichtete Projektionsraum im Erweiterungsbau bot Gelegenheit, die Arbeit «Aquila Non Capit Muscas» (2018) von Mircea Cantor (*1977) zu zeigen. Das Video hält ein eindrückliches Zusammentreffen zwischen einer hochtechnisierten Drohne und der archaischen Kraft eines Adlers in bildstarken Aufnahmen fest.

Bei den Neuankäufen spielte Videokunst ebenfalls eine wichtige Rolle. Von Ursula Biemann (*1955) wurde die Zwei-Kanal-Projektion «Forest Mind» (2021) erworben. Darin thematisiert die im letzten Jahr mit dem Kunstpreis der Stadt Zürich ausgezeichnete Künstlerin das Wissen indigener Völker sowie die Intelligenz der Natur und fragt sich, wie dieser Erfahrungsschatz wirkungsmächtig gemacht werden kann. Über die Gruppe Junge Kunst kamen zudem die Werke «Pre-Image (Porto)» (2014) des kurdisch-irakischen Künstlers Hiwa K (*1975) sowie «Smashing Monuments» (2022) von Sebastián Díaz Morales (*1975) dazu. «Smashing Monuments» war auf der letztjährigen documenta 15 in Kassel ausgestellt und zeigt fünf Mitglieder des indonesischen Kuratorenkollektivs ruangrupa im Dialog mit Monumenten im Stadtraum von Jakarta. Ihre persönlichen Erzählungen überlagern die durch die Denkmäler repräsentierte offizielle Geschichte bzw. «zerschlagen» sie in einer poetischen Geste voller Menschlichkeit.

Während die Medienkunstsammlung wächst, gibt es im Bestand weiterhin viel zu konservieren. Im Berichtsjahr konnte dank der Unterstützung durch Memoriav, Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz, das Projekt der «Digital Born»- Werke angepackt werden. Das sind Kunstwerke, die digital entstanden sind und die aufgrund obsolet gewordener Technik vom Verschwinden bedroht sind und dringend gesichert werden müssen. Dies bedingt einerseits restauratorische Bearbeitung, aber auch kunstwissenschaftliche Abklärungen mit Kunstschaffenden, Recherchen zur Ankaufs- und Entstehungsgeschichte sowie Anpassungen in der Datenbank. Für diese Aufgaben konnten wir Luca Rey gewinnen, einen jungen Kunsthistoriker, der uns für einige Monate in dem Projekt unterstützt.

Schenkungen zeitgenössischer Kunst

Ursula Perucchi-Petri war von 1975 bis 1995 Leiterin der Grafischen Sammlung. In ihrer Amtszeit hat sie sich engagiert für die Kunst auf Papier eingesetzt und bedeutende Ankäufe getätigt. Sie war zudem die Initiatorin der Videosammlung. Aus Altersgründen musste ihr Haushalt aufgelöst werden, und Ursula Perucchi-Petri hat dem Kunsthaus im Berichtsjahr einige Werke geschenkt. Dazu gehören Arbeiten von Felix Droese, einem Künstler, den Ursula Perucchi-Petri während ihrer Zeit am Kunsthaus stark unterstützt und auch für die Sammlung angekauft hatte. Wir freuen uns daher sehr, dass diese Werke zu uns gekommen sind und danken Ursula Perucchi-Petri an dieser Stelle nicht nur für die grosszügige Schenkung, sondern auch für ihren grossen Einsatz während all der Jahre in der Grafischen Sammlung.

Von der Familie Raeber erhielten wir zudem ein Werk von Danh Vō (*1975) geschenkt, wofür wir uns ebenfalls herzlich bedanken möchten.

Ältere Kunst auf Papier

Zu Beginn des Berichtsjahres wurde in einer Kooperation der Grafischen Sammlungen von ETH, Schweizerischem Nationalmuseum, Zentralbibliothek und unserem Haus eine Gemeinschaftsausstellung zu Schweizer Scheibenrissen in der Schatzkammer der Zentralbibliothek Zürich ausgerichtet. Unter dem Titel «Ins Licht gezeichnet» haben alle vier Institutionen eine Auswahl der kostbarsten Blätter ihrer jeweiligen Bestände für die Schau bereitgestellt und sie in diesem Zuge wissenschaftlich aufgearbeitet. Resultat war ein Überblick über diese spezifische Kunstform von Jost Ammann bis zur Rezeption von Scheibenrissen unter Johann Heinrich Füssli. Erstmals wurden zudem die neu angefertigten, dauerhaft installierten Vitrinen im Grafikraum (1. Stock, Moser-Bau) für eine Präsentation unserer Holzschnitte von Félix Vallotton genutzt. Besonders dessen Grafik-Folge «C’est la Guerre» schien uns ein passender Kommentar auf die aktuelle gesamtpolitische Situation in Europa zu sein.

Gleichsam als krönender Abschluss unseres Digitalisierungsprojekts zu den Skizzenbüchern Rudolf Kollers wurde im Mai eine Präsentation der künstlerisch reizvollsten Bücher von «Zürichs zürcherischsten Künstler» im Kabinett organisiert. Aufgrund der brandbedingten Schliessung des Moser-Baus musste die Ausstellung leider frühzeitig enden. Dennoch war die Öffnungszeit lange genug, um zahlreiche Besucherinnen und Besucher jenseits der Gemälde Kollers, genannt sei hier insbesondere dessen «Gotthardpost», auch mit den weniger geläufigen zeichnerischen Fertigkeiten dieses Künstlers vertraut zu machen.

Auf digital.kunsthaus.ch lassen sich nun mittlerweile 56 der insgesamt 67 Skizzenbücher digital durchblättern, wobei man für ein genaueres Studium jedes einzelne Blatt individuell drehen und vergrössern kann.

Bespielt wurde auch das sogenannte «Dreieckli», ein ebenfalls für Grafikpräsentationen genutzter Raum im 1. Stock des Müller-Baus. Hier wurde die Grafikfolge «Paris sans fin» von Alberto Giacometti in ihrer überbordenden Fülle an Motiven der französischen Metropole ausgebreitet. Da diese Folge insgesamt 150 Lithografien zählt, haben wir nur eine Auswahl präsentieren können. Um dabei einen möglichst umfassenden Überblick zu gewähren, wurde das «Dreieckli» dieses Jahr gleich zweimal mit Grafiken aus «Paris sans fin» bestückt.

In der Londoner Courtauld Gallery eröffnete im Berichtsjahr zudem die Ausstellung «Fuseli and the Modern Woman: Fashion, Fantasy, Fetishism», die 2023 auch am Kunsthaus zu sehen sein wird. In Vorbereitung der Londoner Ausstellung wurden zahlreiche unserer Füssli-Zeichnungen auf den jeweiligen Einsatz der künstlerischen Zeicheninstrumente untersucht und für den Leihverkehr vorbereitet.

Zuletzt ist die erfreuliche Schenkung einer Zeichnung von Max Liebermann zu nennen, die das wiederholt von Liebermann aufgegriffene Motiv badender Jungen zeigt und mit Kreide und Grafitstift ausgeführt wurde. Auf den Ankauf einer seltenen Lithografie von Odilon Redon wird an anderer Stelle dieses Jahresberichts ausführlicher eingegangen.

Aktivitäten im Studiensaal und Leihgaben

Den Besucherinnen und Besuchern im Studiensaal der Grafischen Sammlung wurden im Laufe des Jahres insgesamt 616 Werke oder Konvolute vorgelegt; darunter 447 Zeichnungen, 117 Druckgrafiken, 2 Fotografien, 32 Skizzen- und Malerbücher sowie Mappen, 5 Brief- und Archivbände sowie 13 Archivschachteln.

An internen Ausstellungen und Sammlungspräsentationen wurden insgesamt 328 Werke der Grafischen Sammlung gezeigt; davon 154 Zeichnungen, 6 Collagen, 68 Druckgrafiken, 1 Druckform, 85 Fotografien, 1 Film, 7 Videos, 3 Videoinstallationen und 3 Multiples; an externe Ausstellungen wurden insgesamt 61 Werke ausgeliehen; davon 53 Zeichnungen, 4 Druckgrafiken, 3 Fotografien und 1 Klebeband.

Mirjam Varadinis

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