Forest Mind, 2021

Ursula Biemann
Forest Mind, 2021

Ursula Biemanns Werke waren bislang dem Aufzeigen der rapiden Verschlechterung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten im geopolitischen Zusammenhang gewidmet. In «Forest Mind» wechselt die 1955 in Zürich geborene Künstlerin ihre Perspektive. Mit dieser Videoinstallation von 2021 und vor allem mit dem damit verbundenen Projekt «Devenir Universidad» setzt Biemann ihr künstlerisches Tun ein, um auf positive Art und Weise in einem von der Zerstörung betroffenen Gebiet im Amazonas-Regenwald mitzuwirken.

Auf der Suche nach der Intelligenz der Natur nimmt die Künstlerin eine biozentrische Weltsicht ein, die sich sowohl auf westlich-wissenschaftliche als auch auf schamanistische Perspektiven des Umgangs mit der Welt stützt. Ausgangspunkt für «Forest Mind» war eine Reise in den Süden Kolumbiens, die Biemann 2018 auf Einladung der in Bogotá tätigen Kuratorin Maria Belén Saez de Ibarra unternommen hatte. Sie besuchte damals das Territorium der Inga, der dort ansässigen indigenen Bevölkerung, unter der Leitung ihres Gemeindevorstehers Hernando Chindoy. Im Gegenzug bat er die Künstlerin nach der Reise, ihn und seine Bevölkerung bei der Gründung einer indigenen Universität zu unter­stützen, die sowohl das Wissen ihrer Vorfahren als auch zeitgenössisches Wissen (des Westens) vermitteln sollte. Daraus entstand das Projekt «Devenir Universidad», im Zuge dessen sich Biemann intensiv mit Fragen zu den indigenen und westlichen Erkenntnislehren, deren Geschichte und den Folgen des Kolonialismus auseinandersetzte.

«Forest Mind» ist ein Video-Essay über die Intelligenz der Natur, die Verbindung allen Lebens und über die Epistemologie des Regenwaldes. Bilder spielen dabei eine aktive Rolle bei der Verschmelzung von Geist (mind) und Wald (forest). Im Zentrum der Erzählung steht die Figur des traditionellen Mediziners im Amazonasgebiet, die in Kolumbien «Taita» genannt wird. Im 31-minütigen Video hören wir im gross an die Wand projizierten ersten Kanal Taita Carlos Porfirio Jaanamejoy Quinoa von seiner Initiation mit dem psychoaktiven Pflanzensud Yagé, auch unter dem Namen Ayahuasca bekannt, berichten. Diese Substanz hat die Fähigkeit, Menschen in einen anderen Wahrnehmungszustand zu versetzen. Gemäss den Indigenen gelingt es ihnen dadurch, mit der Pflanzen- und Tierwelt zu kommunizieren und Wissen zu erlangen. Ebenfalls zu Wort kommen die Indigenen Hernando Chindoy und Waira Nina Jacanamijoy. Im Video wechseln sich die Interviews mit Luftaufnahmen des Regenwaldes, Aufnahmen von Performances und künstlich generierten Bildern ab. Letztere sind der visuelle Output eines von der ETH Zürich entwickelten Transformationsprozesses, mit dem binäre Informationen in genetische Codes umgewandelt und gespeichert werden können. Mit dieser neuesten Errungenschaft liess Biemann eine Bildaufnahme und eine Tondatei des Regenwaldes sowie eine Biopsie eines dort aufgefundenen Baumsamens in einen einzigen DNA-Code umwandeln. Die daraus resultierende DNA, gespeichert in nanometrische Glasperlen, wurde der dunkelgrünen Farbe beigemischt, mit der ein Quadratmeter auf die Trägerwand des Erweiterungsbaus des Kunsthaus Zürich als Teil von Biemanns Videoinstallation aufgetragen wurde. Diese DNA wird für immer mit dem Gebäude verbunden bleiben. Das Video wird von der Off-Stimme der Künstlerin sowie von einem Soundtrack begleitet. Dieser beinhaltet die Schumann-Resonanz – die messbare Tonfrequenz, die die Erde aussendet. Der zweite Kanal projiziert ergänzende Bilder im Kreisrund auf den Boden.

«Forest Mind» feierte seine Weltpremiere in der Ausstellung «Earth Beats. Naturbild im Wandel», die Teil der Eröffnung des Chipperfield-Baus im Oktober 2021 war.

Sandra Gianfreda

Weiterführende Informationen:
Ursula Biemann, Forest Mind. On the Interconnection of All Life, Leipzig 2022.
geobodies.org/art-and-videos/forest-mind

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