Sammlung

Im Berichtsjahr konnte die Sammlung des Kunsthauses durch qualitätvolle Neuzugänge intensiv bereichert werden – darunter auch bedeutende, hiermit herzlich verdankte Schenkungen. Unter ihnen finden sich (nebst Schenkungen an die Grafische Sammlung) solche von der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung, von Adelheid Horowitz-Hanhart, von der Künstlerin MANON sowie von den Familien Raeber und dem Künstler Danh Vō (Neuzugänge). Insgesamt war das Jahr für die Kunsthaus-Sammlung aber sehr herausfordernd. Als erster Grund ist hier die heftige Kritikwelle gegen die Dauerleihgabe der Sammlung Emil Bührle und deren Präsentation zu nennen, die zwar bereits mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus im Oktober 2021 losgebrochen war, aber noch weit ins 2022 hinein wirksam blieb.

Die Bührle-Kontroverse und ihre Folgen

Die Diskussionen um die Bührle-Stiftung haben eine starke Wirkung auf die Öffentlichkeit ausgeübt. Es wurde ein nochmals erweiterter Blick auf die Konstellation Bührle / Kunsthaus erzwungen, der wohl unausweichlich und wichtig war. Auch so aber lässt sich die Ambivalenz zwischen der schwierigen Gestalt des ruchlosen Waffenfabrikanten auf der einen Seite und dessen für das Kunsthaus und die kunstinteressierte Öffentlichkeit in Zürich und der Schweiz wesentliches Mäzenatentum auf der anderen kaum auflösen.

Auf dem Weg zu einer neuen Präsentation der Sammlung Emil Bührle

Auslöser der im Herbst 2021 massiv neu aufflammenden Bührle-Kontroverse war die Präsentation der als Dauerleihgaben ins Kunsthaus gelangten Werke der Bührle-Stiftung im Chipperfield-Bau gewesen, welcher im Oktober 2021 eröffnet wurde. Diese basierte auf der räumlichen Trennung der Präsentation der Kunstwerke selber und der Dokumentation zu Emil Bührle als Sammler und Unternehmer. Dabei wurden im Dokumentationsraum die besonders kritisierten Bührle-Themen des Reichtums aufgrund von Waffenfabrikation, des Erwerbs von Raubkunst, der Verflechtung mit rechtskonservativen Zürcher Kreisen – darunter nota bene auch Exponenten der Zürcher Kunstgesellschaft – durchaus angesprochen. Die vermittlerische Geste aber blieb zu konventionell, auch fand die Vielfalt der Stimmen zur Rezeption Bührles keinen Widerhall. Vor allem aber vermochte das im Moment der Eröffnung massgebliche Grundkonzept, die Provenienzfragen von den betroffenen Kunstwerken getrennt zu thematisieren, viele nicht zu überzeugen.

In der Folge begann sich im Sammlungsteam zu Beginn des Berichtsjahres ein anderer Ansatz zu entwickeln. Es wurde eine Broschüre in Angriff genommen, die v. a. die Schicksale und Lebensumstände der früheren jüdischen Eigentümer von rund 20 diskutierten Werken der Bührle-Stiftung würdigen sollte, die ihre Bilder aufgrund von Verfolgung durch die NS-Diktatur oder Flucht verloren hatten. Dieser Text wird Ende 2023 publiziert. Auch ergänzte man den Dokumentationsraum um einen Lesetisch, der auch die massgeblichen kritischen Bücher zur Bührle-Thematik zugänglich machte. Stichwort Polyphonie! Als die designierte neue Direktorin Ann Demeester ab dem Frühjahr regelmässig nach Zürich kam und mit den Teams Kontakt aufnahm, wurde, von ihr angeregt, der Plan gefasst, die Werke der Bührle-Stiftung im Herbst 2023 in Form einer temporären Ausstellung ganz neu zu präsentieren. Die Provenienzen der während der NS-Diktatur erworbenen Werke sollten nun ein zentrales Element der Ausstellung selber bilden.

Der Brand von August 2022 und seine Konsequenzen

Am 2. August entstand in einem technischen Raum des Müller-Baus ein Feuer. Obwohl die Feuerwehr es in bewundernswerter Schnelligkeit löschte, gelangten durch einen Liftschacht Russwolken in Sammlungsräume. Ein schlimmes Ereignis, das massive Bewältigungsarbeiten für das ganze Haus auslöste. Zum grossen Glück kam es aber nicht zum Schlimmsten, nämlich Schaden an Leib und Leben und / oder Verlust von Kunstwerken. Damit aber nicht genug: Im Lauf der Reinigung (und trotz entsprechender früherer Sanierungsprojekte) entdeckte Asbest-Vorkommen im Moser-Bau und Statikprobleme im Müller-Bau der 1970er-Jahre verlangten erneute Interventionen. Und dann geschah das gänzlich Undenkbare: zwei bedeutende kleine Altmeister-Bilder, grosszügige Dauerleihgaben aus einer privaten Zürcher Sammlung, blieben verschwunden und werden seitdem durch die Polizei, die Ermittlungen aufnahm, gesucht. Mit Herzblut wurde unter der Leitung erst von Christoph Becker, dann von Ann Demeester (sowie von Vizedirektor Christoph Stuehn) an der Bewältigung dieser schweren Krisenmomente gearbeitet. Wir danken allen Involvierten, den Teams des Hauses und externen Kräften, nicht zuletzt Feuerwehr und Polizei, ganz herzlich für die grossartige Arbeit, die auf allen Stufen von starkem persönlichem Engagement geprägt war. Seit Frühjahr 2023 sind die so lange geschlossenen Sammlungsgebäude im Bestand endlich wieder zugänglich – und die neue Kunsthaus-Direktorin Ann Demeester kann erstmals einem voll geöffneten Haus vorstehen. Möge es nach diesen für alle schweren Monaten viele Besuchende anziehen und – dies unser grösster Wunsch – sehr bald wieder alle ihm anvertrauten Kunstwerke bergen und präsentieren können.

Leihwesen

Und hier noch die traditionellen Angaben zur Leihstatistik: Es wurden inklusive Alberto Giacometti-Stiftung und Sammlung Emil Bührle 34 Ausstellungen bedient, davon 12 im Inland und 22 im Ausland. Insgesamt wurden 33 Gemälde und Skulpturen und 58 grafische Werke ausgeliehen.

Philippe Büttner

KUNSTHAUS DIGILAB

Parallel zur Kunsthaus-Erweiterung entstand auf Initiative des Kuratoriums das «Kunsthaus Digilab». Dieses ist als Ergänzung zur physischen Erweiterung gedacht und soll den digitalen Raum ausleuchten und neu bespielen. Der Name ist dabei Programm: Das «Kunsthaus Digilab» bietet Raum zum Experimentieren, Ausprobieren und auch kritischen Nachdenken über das Digitale. Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler werden eingeladen, in regelmässigen Abständen neue Kunstwerke zu realisieren, die einerseits online präsent, aber auch physisch im Museumsraum erfahrbar sind. Den Anfang machte die !Mediengruppe Bitnik. Im digitalen Raum luden sie das Publikum dazu ein, das Internet aus der Perspektive eines Bots zu erkunden – also eine Umkehr des im Netz üblichen Mechanismus, der die User auffordert zu bestätigen, dass sie keine Roboter sind. Mit Hilfe einer von Bitnik programmierten Browser-Erweiterung wurde der Zugang auf Websites und Archive eröffnet, die üblicherweise hinter einer Paywall liegen. Das Werk hinterfragte die politischen und kommerziellen Kontrollmechanismen, die das Netz und damit auch unseren Zugang zu Information bestimmen. «Analog» im Museumsraum war die Arbeit «Random Darknet Shopper» (2014 – 2016) zu sehen, die eine Sammlung von Objekten im Raum präsentierte, die ein Bot im Darknet erworben hat.

Als zweite Künstlerin wurde Nora Turato (*1991) fürs «Kunsthaus Digilab» eingeladen. Sie beschäftigt sich mit der täglichen Nachrichtenflut und online zirkulierenden Texthysterie. Turato greift punktuell Inhalte aus ganz unterschiedlichen Gebieten wie Werbung, Politik, Social Media, aber auch Film und Literatur heraus und collagiert die Fragmente zu eindrücklichen Spoken-Word-Performances, Videos oder Textarbeiten zusammen. Für das «Kunsthaus Digilab» hat sie eine neue, mehrteilige Video-Arbeit entwickelt. Darin hüpfen, rollen oder springen animierte, eiförmige Formen, die in ihrer grafischen Erscheinung an Online-Meditationsvideos oder Atem-Apps wie «Headspace» erinnern, über den Bildschirm, während die Künstlerin einen Monolog spricht. Nora Turato denkt mit der Arbeit darüber nach, wie sie den digitalen Raum als Performance-Künstlerin nutzen und ihm eine Körperlichkeit verleihen kann. digilab.kunsthaus.ch/de

Mirjam Varadinis

Provenienzforschung

Das im Frühjahr 2021 gestartete Forschungsprojekt «Die Provenienzen der Schenkungen Leopold Ruzicka (1949), Nelly Bär (1968) & Walter Haefner (1973 –1995)» mit Förderung vom Bundesamt für Kultur (BAK) konnte im Berichtsjahr weitergeführt werden, der Abschluss ist auf Juni 2023 vorgesehen. Im Zuge des Projekts konnte die Online-Präsentation der werkspezifischen Provenienzangaben dahingehend verbessert werden, dass sie nun mit Quellennachweisen versehen sind, bei ausgewählten Werken kontextualisierende Provenienztexte verfasst wurden und bei Abschluss des Projekts im Sinne der Transparenz die finalen Beurteilungskategorien vom BAK publiziert werden können.

Ein zweites vom BAK unterstütztes Provenienzforschungsprojekt konnte im Archiv der Zürcher Kunstgesellschaft und des Kunsthaus Zürich abgeschlossen werden. Im Berichtsjahr wurden zudem an der fortlaufenden Aktualisierung und Publikation der Provenienzen der Sammlungsbestände gearbeitet sowie ein Telegramm von Hans Arp aus dem Bibliotheksbestand an die rechtmässige Eigentümerin restituiert (siehe Bibliothek).

Zahlreiche externe Anfragen zu den Sammlungsbeständen wie zur Sammlung Emil Bührle wurden bearbeitet, wie auch an nationalen und internationalen Tagungen teilgenommen. So etwa mit dem Vortrag «Zugang erleichtern! Digitalisierung und Onlinepublikation der Archivbestände des Kunsthaus Zürich und des Archivs der Sammlung Emil Bührle» an der Jahreskonferenz des internationalen Arbeitskreises Provenienzforschung e. V., die im November in Kollaboration mit dem 2020 gegründeten Schweizerischen Arbeitskreis Provenienzforschung am Kunstmuseum Basel stattfand.

Mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Philipp Hildebrand und der neuen Direktorin Ann Demeester konnten mit dem Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft erste Schritte unternommen werden, eine Strategie für die Provenienzforschung am Kunsthaus Zürich zu verabschieden. Die Strategie setzt die Forderung des neuen Subventionsvertrags mit der Stadt Zürich dahingehend um, dass ein eigener Fachbereich Provenienzforschung aufgebaut und ein zeitgemässer Umgang mit Ergebnissen der Provenienzforschung entwickelt wird. Ebenfalls darin enthalten sind die Entscheidungsfindung und Entscheidungsbefugnisse für «faire und gerechte Lösungen» bei spezifischen Einzelfällen.

Joachim Sieber

obere