Personnage, 1963

Maryan
Personnage, 1963

Der amerikanische Maler und Druckgrafiker Maryan, eigentlich Pinchas Burstein, wurde 1927 als Kind einer jüdischen Familie in der südpolnischen Stadt Nowy Sącz geboren. 1 Er lebte von 1942 bis 1943 im Ghetto von Rzeszów und wurde 1943 oder 1944 in das Konzentrationslager von Auschwitz deportiert. Bei der Befreiung durch die sowjetische Armee wurde er verletzt in einer Grube gefunden, ein Bein musste ihm amputiert werden. Burstein überlebte den Holocaust als einziges Mitglied seiner Familie. Nach dem Krieg studierte er Kunst in Jerusalem und gelangte 1950 nach Paris, wo er an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts studierte. In Frankreich nahm er den Namen Maryan Bergman an. Nachdem ihm die französische Staatsbürgerschaft versagt worden war, zog er 1962 nach New York. Er erhielt 1969 die amerikanische Staatsbürgerschaft und wechselte seinen Namen offiziell zu Maryan S. Maryan. Der Künstler starb 1977 fünfzigjährig in New York.

Sein Leben und seine künstlerische Arbeit wurden durch seine Erfahrungen in der Kriegszeit aufs Tiefste geprägt. Er entwickelte einen drastischen, ihm eigenen Figurenstil und gehört zu den Künstlern, die zeitgleich mit Jean Dubuffet oder Künstlern aus dem Umkreis der COBRA-Bewegung, die der reinen Abstraktion kritisch gegenüberstanden, das Thema der Figur wieder als Hauptthema in die Malerei zurückbrachten. Bei Dubuffet war die Rückkehr zu archaisch anmutenden Figuren nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Erkenntnis des Scheiterns der traditionellen abendländischen Kultur verbunden. Bei Burstein reicht die Notwendigkeit zur Arbeit an der menschlichen Figur und ihrem Körper noch tiefer. Er war als Kind direkt mit dem unvorstellbaren Grauen der Vernichtungslager der NS-Diktatur konfrontiert und entkam den Todeslagern auch physisch nicht ohne Versehrung. Die Erfahrung der physischen Auslöschbarkeit und zugleich Vernichtungskraft des Menschen und seines Körpers wurde entsprechend zu einer essenziellen Ausgangslage seiner eindrucksvollen Kunst.

Das 1963 in New York entstandene Bild des Kunsthauses ist bereits mit «Maryan» signiert. Es zeigt, wie der Künstler zeitgleich mit dem Aufkommen der Pop Art seinen unverkennbaren figürlichen Stil schärfte. Wir sehen eine unheimlich anmutende, vordergründig leuchtend bunte Figur. Mit einer hellen Schürze und Mütze bekleidet und einen Lollipop schleckend, könnte sie wie eine Verkäuferin oder ein Verkäufer (das Geschlecht der Figur bleibt trotz der rosa lackierten Fingernägel unklar) von Süssigkeiten anmuten. Zugleich wird diese Kennzeichnung durch düstere Elemente massiv konterkariert: Die «Personnage» des Bildtitels starrt uns aus schwarzen Augenschlitzen mit einem maskenartigen Blick an. Auf einem schwarzen Boden und vor einer pechschwarzen Wand stehend, erscheint die Figur wie ein alptraumartiges Zerrbild eines Menschen vor der Membran des Nichts. Auffällig ist auch die schwarz-gelb-schwarze Armbinde, die die Figur mit ihrem hochgehaltenen Unterarm sichtbar präsentiert. Soll sie an die Kennzeichnungen erinnern, die jüdische Menschen unter der Nazi-Diktatur tragen mussten, oder gemahnt sie im Gegenteil an ein Emblem der Unterdrücker? Haben wir es also mit der pervertierten Darstellung eines Opfers oder eines Täters zu tun? Der Vergleich mit anderen Werken der gleichen Zeit lässt auf das Zweitgenannte schliessen, doch bleibt insgesamt eine Ambivalenz bestehen zwischen dem Ausdruck von Gefährdung und einer das Innerste des Menschen ebenfalls zerstörenden Komplizenschaft mit dem Bösen. Der Künstler selber sprach von autobiografischen «Truth Paintings». Er werde er selbst sein in jeder Farbe, die er auf die Leinwand bringe.

Philippe Büttner

1Zu Maryan siehe: Maryan, Ausst.-Kat. Galerie Haas, Zürich 2022, mit einem Beitrag von Adam Szymczyk; Maryan, la ménagerie humaine 1927 – 1977, Ausst.-Kat. Musée d’art et d’histoire du Judaïsme, Paris 2013. Empfehlenswert ist zudem der englischsprachige Wikipedia-Artikel zu Pinchas Burstein (zuletzt abgerufen am 3.3.2023).

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