A VOLUME WITHIN WHICH IT IS NOT POSSIBLE FOR  CERTAIN CLASSES OF ACTION TO ARISE, 2015

William Forsythe
A VOLUME WITHIN WHICH IT IS NOT POSSIBLE FOR CERTAIN CLASSES OF ACTION TO ARISE, 2015

Die erste künstlerische Intervention im neu erstellten Kunsthaus-Erweiterungsbau inszenierte William Forsythe (*1949). Einige von Ihnen erinnern sich. Im Frühjahr 2021 verwandelte der berühmte Choreograf und Künstler den gerade fertiggestellten, aber noch nicht mit Kunst bestückten Neubau in einen riesigen Klangraum. Auf verschiedene Räume verteilt, aktivierte Forsythe entwidmete Kirchenglocken in verschiedenen Grössen, Tonhöhen und Klangfarben in einer kontrapunktischen Komposition. Die Besucherinnen und Besucher waren eingeladen, den immensen architektonischen Körper mit ihrem eigenen Körper zu erkunden und dabei sich und den Raum neu zu erfahren. «The Sense of Things» hiess die Installation und war ein – wie William Forsythe diese räumlichen Interventionen nennt – riesiges «choreografisches Objekt».

Das erste dieser Objekte entstand 1991 und war eine Überführung von Forsythes erweitertem Choreografie-Begriff in den (Museums-)Raum. Seither realisiert Forsythe regelmässig solche choreografischen Objekte. Im Unterschied zu seinen Bühnenstücken richten sich diese nicht an Tänzerinnen und Tänzer, sondern an ein untrainiertes Publikum. «Bei einer Choreografie auf der Bühne sitzt das Publikum still und die Ideen werden vor ihm bewegt», so Forsythe, während bei einer Rauminstallation «das Publikum zwischen den Ideen zirkuliert». Die Bewegung und der Körper sind dabei zentral. Denn Forsythe geht es nicht nur um eine räumliche Erfahrung, sondern vielmehr um «eine Form der Wissensproduktion für diejenigen, die sich darauf einlassen». Denken mit dem Körper bzw. den Körper als Werkzeug zum Denken zu verwenden, das sollen die choreografischen räumlichen Anordnungen bewirken. Forsythe bricht damit mit der gerade im Museum noch in weiten Teilen vorherrschenden Dichotomie von Körper und Geist.

Begleitet werden die «choreografischen Objekte» von einer kurzen Anleitung oder sog. «instruction». Diese beschreibt jeweils sachlich das Setting und gibt Hinweise, wie sich das Publikum dem Objekt nähern soll / kann. Sie lässt aber genügend Spielraum für individuelle Interpretation, und die Art der Ausführung sagt immer auch viel über den jeweiligen Menschen aus.

Die im letzten Jahr erworbene Arbeit «A VOLUME WITHIN WHICH IT IS NOT POSSIBLE FOR CERTAIN CLASSES OF ACTION TO ARISE» (2015) ist ebenfalls ein «choreografisches Objekt». Dieses besteht aus einem grossen rechteckigen oder quadratischen Einbau, der die Raumhöhe auf 70 cm ab Boden beschränkt. Der Kubus wird jeweils auf den Raum angepasst und durchbricht den regulären Bewegungsfluss im Museum bzw. verunmöglicht, sich aufrecht stehend im Raum zu bewegen. «Das Werk bietet dem Publikum die Möglichkeit, den Verlust dieser grossen Freiheit, die tagtäglich wesentlich zu unserem Weltbild beiträgt, bewusst zu erleben», so William Forsythe. Diese Aussage zeigt erneut, dass der körperliche Perspektivenwechsel bei Forsythe untrennbar mit einem neuen Blick auf die Welt verbunden ist. Denn die Art und Weise, wie wir uns bewegen bzw. bewegen können und dürfen, sagt nicht nur viel über uns selbst, aber auch über unsere Gesellschaft aus. Das haben gerade die letzten Jahre der Pandemie gezeigt, in denen der Bewegungsradius stark eingeschränkt wurde und das Verhältnis von Nähe und Distanz neu definiert werden musste.

Wie schon bei der Klanginstallation «The Sense of Things», spielt auch bei «A VOLUME WITHIN WHICH IT IS NOT POSSIBLE FOR CERTAIN CLASSES OF ACTION TO ARISE» der Leerraum eine ganz zentrale Rolle. Es ist eine erfüllte Leere, die Forsythe inszeniert. Eine Leere, die Raum schafft für neue Erkenntnisse und Erfahrungen, und die erst durch das Publikum im Museum aktiviert bzw. mit Sinn aufgeladen wird.

Der Erwerb von «A VOLUME WITHIN WHICH IT IS NOT POSSIBLE FOR CERTAIN CLASSES OF ACTION TO ARISE» ergänzt die im letzten Jahr angekauften Zeichnungen der «Human Writes»-Serie von William Forsythe. Das Kunsthaus versucht jeweils das Schaffen eines Künstlers oder einer Künstlerin in seinen verschiedenen Facetten abzubilden. Das gelingt nicht immer, aber wir freuen uns, dass William Forsythe nun mit einer wichtigen Werkgruppe in der Kunsthaus-Sammlung vertreten ist.

Mirjam Varadinis

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