Lachgas, 2019

MANON
Lachgas, 2019

Die Angst vor einer Operation war lange Zeit eng mit der Angst vor Schmerzen verbunden. Schmerzen, die dazu führen konnten, dass Menschen an einem Schock während der Operation verstarben. Die Möglichkeit, schmerzfrei in zeitweiliger Bewusstlosigkeit eine OP zu überstehen, war ein zivilisationsgeschichtlicher Meilenstein, eine Sprunginnovation. Lachgas ist neben dem von William Morton benützten Diethylether eines der frühesten Narkosemittel. Da Lachgas keine Nebenwirkung hat, wird es bis heute situativ eingesetzt. Obwohl die Entdeckung der Vollnarkose durch Morton Medizingeschichte schrieb, blieben operative Eingriffe des hohen Blutverlusts von Patientinnen und Patienten wegen noch lange die Ausnahme. Mit der Entdeckung des AB0-Blutgruppensystems 1901 durch den Wiener Pathologen Karl Landsteiner gelang der Durchbruch, er ermöglichte 1914 die erste Bluttransfusion ab Konserve und rettete Millionen Menschen im Ersten Weltkrieg das Leben.

Zum Titel ihrer Installation sagt MANON: «Das Wort Lachgas hat ja einen Doppelsinn. Es ist etwas sehr Unheimliches und gleichzeitig etwas Lustiges. Und dieses Zusammenspiel finde ich spannend.» 1 Das sind stimmungsvolle Stichworte für diese Rauminstallation. Ein Krankenbett steht in der Mitte, erhöht auf einem Sockel mit umlaufenden Glühbirnen. Es drängt sich das Bild eines Podests in einer Table-Dance-Bar auf, das Felix Gonzalez-Torres in der Kunstgeschichte verewigte. Zudem übt der schachbrettmusterartige Fussboden bei intensiver Betrachtung einen vibrierenden, ja man möchte sagen hypnotisierend psychedelischen Effekt aus. Am Rand des «Krankenzimmers» befindet sich ein altmodisch-eleganter Kleiderständer, auf dem ein schillernd gelbes Party-Kleid – zumindest vorläufig – von ihrer glamourösen Trägerin abgestreift werden musste.

MANON thematisiert in ihrer Kunst häufig die Verbindung zwischen Leib und Seele, und das nicht selten über den Umweg der Erotik. Das Nachtclub-Setting erhöht und erotisiert nun das Krankenbett. In Gedanken versunken könnte jeder Betrachtende auf diesem Bett liegen, und wer erst mal auf diesem Bett liegt, ist jedenfalls der Mittelpunkt des Geschehens. Nur ist diese «Bühne» immer auch mit einer tiefen Einsamkeit verbunden. Kranksein bedeutet für viele, auf unangenehme Weise abhängig von Pflege und Zuwendung zu sein. Die Kulturkritikerin Susan Sontag, die selbst an Krebs gelitten hatte, brachte den Aspekt, dass dies uns alle etwas angehe, in ihrem wegweisenden Aufsatz «Krankheit als Metapher» auf den Punkt. Dabei ging es ihr gerade nicht darum, dass Krankheit eine Metapher sei, sondern ihre Wirklichkeit benannt werden müsse 2 : «Krankheit ist die Nachtseite des Lebens, eine eher lästige Staatsbürgerschaft. Jeder, der geboren wird, besitzt zwei Staatsbürgerschaften, eine im Reich der Gesunden und eine im Reich der Kranken. Und wenn wir alle es auch vorziehen, nur den guten Ruf zu benutzen, früher oder später ist doch jeder von uns gezwungen, wenigstens für eine Weile, sich als Bürger jenes anderen Ortes auszuweisen.» 3

MANONS Installation wirft zahlreiche Fragen danach auf, wie der Raum für uns bei Krankheit aussehen sollte, damit wir uns nicht einfach ausgeliefert fühlen, sondern auch Vertrauen, Kraft und Zuversicht schöpfen können. Wie werden Spitalräume heute gestaltet? Man denke an die neue Überbauung des Universitätsspitals unter der Ägide von Christ & Gantenbein.4 Ist MANONS «Lachgas» ein Tableau, eine fiktive Performance, eine Skulptur, oder alles zugleich? Eine erbauende Schlussfolgerung aus diesem multiperspektivischen Bild des Krankenbetts, das wir im Grunde genommen alle kennen, formulierte die Künstlerin mal so: «Ich muss aus meinen negativen Erfahrungen stets etwas Gutes machen, einen kreativen Akt schlagen. Ich habe keine andere Wahl. Das war seit Anbeginn überlebenswichtig, der einzig gangbare Weg.» 5

Cathérine Hug

1arttv.ch/kunst/kunsthaus-zofingen-manon, 02:33 – 02:48.
2Susan Sontag, Krankheit als Metapher, Aids und seine Metaphern, Frankfurt a. M. 2003 (erstmals 1977), S. 74.
3Ebd., S. 9.
4Siehe dazu usz.ch/campusmitte/einzelzimmer (Stand Juni 2022 mit der Baufreigabe, zuletzt abgerufen am 22.2.2023).
5MANON zit. in: Ursula Badrutt, «Vanitas – Vom Verschwinden‚ Zeit wird knapp», in: Kunsthaus Zofingen (Hrsg.), MANON, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zofingen, Centre Culturel Suisse, Fotostiftung Schweiz, Zürich / Zofingen / Paris / Winterthur 2019, S. 123.

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