Vorwort

DAS ZWEITE AUSNAHMEJAHR

Aufgrund der pandemiebedingten behördlichen Anordnungen mussten das Kunsthaus, die Bibliothek und die Grafische Sammlung vom 19. Dezember 2020 bis 28. Februar 2021 schliessen. Mit der Wiedereröffnung Anfang März waren Einschränkungen bei der Anzahl zugelassener Besucherinnen und Besucher verbunden. Die Durchführung von Veranstaltungen war erst ab 19. April wieder möglich; musste aber permanent an wechselnde Vorgaben und Kapazitätsbeschränkungen angepasst werden.

Das ganze Berichtsjahr über gab es wechselnde Vorgaben betreffend der Pflicht zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes, Zertifikatskontrollen, Kapazitätsbeschränkungen etc. Diese Auflagen schränkten die Anzahl, das Format und die Auslastung von Veranstaltungen sowie das Vermietungsgeschäft ein, was wiederum zu einer Belastung für den traditionell hohen Eigenfinanzierungsanteil führte. Der Kanton leistete Ausgleichszahlungen. In den verbleibenden zehn Monaten konnten die Besucher- und Mitgliederzahlen signifikant gesteigert werden.

Die Geschäftsleitung passte das Organisationsmodell des Vorjahres an. Es wurden temporäre Homeoffice-Lösungen optimiert und Angestellte in Kurzarbeit mit Lohnfortzahlungen, die über den gesetzlichen Vorgaben lagen, unterstützt. Auch das Hygienekonzept zum Schutz von Mitarbeitenden und Besuchenden wurde reaktiviert. Dies ermöglichte den Betrieb in reduzierter Form und die Durchführung aller geplanten Ausstellungen. Vernissagen fanden als zeitlich gestreckte Vorbesichtigungen statt.

Mietkunden profitierten von grosszügigen Storno-Regelungen und die Mitglieder der Kunstgesellschaft erhielten für die Schliessungszeit ab Mitte Dezember des Vorjahres eine geldwerte Kompensation. Die digitalen Angebote wurden erweitert und die Kommunikation auf Social Media-Kanälen verstärkt.

Während Opern- und Konzerthäuser teilweise komplett geschlossen waren und sich der Vorhang in Theatern nur für kleinste Gruppen hob, war die Dankbarkeit beim Kunsthaus-Publikum gross, sich auf genügend Raum versammeln und die Kunst unterschiedlichster Sparten geniessen zu dürfen.

 

Sehr Geehrte Mitglieder Der Zürcher Kunstgesellschaft

Das Jahr 2021 war geprägt von Ereignissen, die uns in Erinnerung geblieben sind. Tief bewegt hat uns der Abschied von unserer Präsidentin Anne Keller Dubach, die wenige Wochen nach ihrer Wahl überraschend verstarb. Während vieler Jahre hatte sie sich im Vorstand als Beisitzerin für das Kunsthaus und die Erweiterung engagiert und war die erklärte Wunschkandidatin für die Nachfolge des langjährigen Präsidenten Walter B. Kielholz. Wir verlieren eine grosszügige und warmherzige Persönlichkeit und werden Anne Keller Dubach in dankbarer Erinnerung behalten.

Die Fertigstellung und Eröffnung der Kunsthaus-Erweiterung nach der Schlüsselübergabe im Dezember 2020 war während vieler Monate ein zentrales, aber nicht das einzige Feld unserer Aktivitäten. Das Ausstellungsprogramm hatte mit Gerhard Richter, der Romantik, Ottilie W. Roederstein, Klimt und Hodler und der Preview-Veranstaltung mit William Forsythe wahrhaft Grossartiges zu bieten, was sich in unseren Besucherzahlen niederschlug – rund 380 000 – und dies, obwohl das Haus pandemiebedingt für fast zweieinhalb Monate geschlossen war. Dank der finanziellen Unterstützung durch die öffentliche Hand haben wir diese Krise auch in wirtschaftlicher Hinsicht bewältigt. Das Kunsthaus-Team hat nicht nur dieses ausserordentliche Programm umgesetzt, sondern auch die umfangreichen Arbeiten hinter den Kulissen im Hinblick auf die Eröffnung der Erweiterung. Parallel zur schrittweisen Inbetriebnahme der hochkomplexen technischen Anlage zog die Kunst ins neue Haus ein, und auch im Bestand war schliesslich nichts mehr wie zuvor: eine logistische Meisterleistung, an der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitgewirkt haben. Christoph Becker und seinem ganzen Team gebührt dafür unser allerherzlichster Dank!

Tausende von Kunstwerken wurden bewegt, aus den Aussenlagern ins neue Depot und in die Sammlungsräume, und sogar auf dem Heimplatz erfolgte eine Neuerung: Die zweite Etappe der Lichtinstallation «Tastende Lichter» von Pipilotti Rist, ursprünglich ein Auftragswerk des Kunsthauses, konnte dank des Kunst- und Bau-Fonds der Kunsthaus-Erweiterung realisiert und in Betrieb gesetzt werden. In der Passage wurde das raumgreifende Kunstwerk von Olafur Eliasson installiert, ein Geschenk von Hubert und Ursula Looser und ihrer Fondation, sowie die Wandarbeit «Over & Above» von Lawrence Weiner, ein Geschenk von Gitti Hug. Neu ist auch das mehrteilige Hauptwerk von Gerhard Richter, «Acht Lernschwestern», aus dem Besitz von Hans B. Wyss und Brigitte Wyss-Sponagel, das nach langen geduldigen Verhandlungen als Geschenk an die Vereinigung Zürcher Kunstfreunde kam: Nun ist das lang ersehnte Meisterwerk im Kunsthaus!

Im Bestand sorgte die umfassende Neupräsentation der Alberto Giacometti-Sammlung, weltweit die grösste in einem Museum, für reges Interesse. Die behutsame Neugestaltung im Inneren des Müller-Baus erweist sich als Glücksfall für die wiedergewonnene Grosszügigkeit des Baus aus den 1970er-Jahren. Die bedeutende Sammlung der Alten Meister konnte auf eindrucksvolle Weise ergänzt werden durch kostbare Werke der niederländischen Kunst dank der kompletten Sammlung von Ferdinand Knecht, und zudem sorgt eine vollständige Neuordnung und die Einführung der sogenannten Interventionsräume für wohltuende Abwechslung und überraschende Einblicke, unter anderem mit der hochaktuellen Installation eines Raumes zur Provenienzthematik mit einer neuen Arbeit von Raphaël Denis.

Ins neue Gebäude zogen rund drei Dutzend Meisterwerke der amerikanischen Kunst aus dem uns langfristig anvertrauten Konvolut der Sammlung von Hubert Looser ein, und damit wird eine Lücke in unserem Bestand auf hervorragende Weise geschlossen. Zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt sind rund 180 hochkarätige Kunstwerke der Sammlung Emil Bührle in einer ersten Präsentation wieder zu sehen. Auf diesen Teil unseres lange geplanten Vorhabens war die öffentliche Resonanz aussergewöhnlich und streckenweise sehr kontrovers. Die Entstehung der Sammlung zwischen den dreissiger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, die Person des Sammlers, seine wirtschaftliche Tätigkeit als Waffenhersteller, der industrielle Rüstungskomplex Oerlikon-Bührle und vor allem die Thematik der Provenienzen und möglicher Raub- und Fluchtkunst waren über viele Wochen ein heisses Thema in der lokalen und teilweise der internationalen Presse sowie in der Politik. Viele Besucherinnen und Besucher zollten uns aber auch Respekt und Anerkennung für den Schritt in die Öffentlichkeit und die Vermittlung der historischen Fakten rund um die Sammlung, die in vielerlei Hinsicht einzigartig ist und dauerhaft in die Öffentlichkeit gehört. Die Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle wird ab 2022 von einem unabhängigen Expertengremium evaluiert.

Es hat uns gefreut, dass rund hunderttausend Besucherinnen und Besucher unsere Präsentation der Kunst und das neue Haus innerhalb weniger Wochen gesehen haben und fast durchgehend begeistert sind. Dazu gehört, dass wir mit den 75 Meisterwerken des Fauvismus, Expressionismus und der Klassischen Moderne aus der Sammlung Gabriele und Werner Merzbacher ein wunderbares Fest der Farbe feiern dürfen, samt einem echten Höhepunkt, der faszinierenden Lichtinstallation «Turicum Pixelwald» von Pipilotti Rist. Es ist ein Glücksfall, dass Gabriele und Werner Merzbacher uns ihre einzigartige Sammlung für einen langen Zeitraum anvertraut haben, und ich danke, im Namen des Hauses und aller Besucherinnen und Besucher, herzlich dafür!

Der Chipperfield-Bau bringt uns eine Verdoppelung der Bruttofläche und tausende Quadratmeter mehr Platz für die Kunst in exzellent proportionierten Räumen mit einer hochwertigen technischen Ausstattung und der gleichermassen diskreten wie eleganten Materialisierung, die in enger Abstimmung mit der Museumsleitung entstand. Die Erweiterung bringt uns eine effizientere Ausstellungsplanung, neue Räume für die Kunstvermittlung, einen Festsaal, der seinen Namen wahrhaft verdient, und natürlich das Foyer Walter Haefner, unsere lichtdurchflutete Eingangshalle, die mit Bewunderung aufgenommen wird, nicht zuletzt wegen der frisch restaurierten und permanent installierten grossen Werke von Alexander Calder und Robert Delaunay. Und auch der «Grundstein», ein Geschenk des Künstlers Urs Fischer, hat einen prominenten Platz gefunden, ebenso wie das spektakuläre Wandbild von Max Ernst in unserer neuen Bar, dessen aufwendige Restaurierung und Installation wir Hans und Doris Imholz verdanken. Auch von aussen bildet der Chipperfield-Bau einen bedeutenden städtebaulichen Akzent, der schon jetzt für die Belebung des urbanen Umfelds sorgt.

Zahlreiche neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergänzen unsere Teams in den Bereichen Technik, Sicherheit, Besucherservice, dem Shop Chipperfield und der Provenienzforschung, und sie alle haben sich in kurzer Zeit eingearbeitet. Das Organisationsmodell, das wir mit unserem Businessplan und der langfristigen Planung etabliert haben, bewährt sich.

Noch nie seit der Eröffnung des Gründungsbaus 1910 hat das Kunsthaus Zürich eine vergleichbare räumliche und qualitative Aufwertung erfahren, und so war es nicht überraschend, dass die Eröffnung in mehreren Etappen während einer ganzen Woche zum gesellschaftlichen Ereignis avancierte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und alle am Bau Beteiligten feierten ebenso wie die Kunstfreunde und Donatoren, die illustren Gäste der Director’s Preview mit Sir David und Evelyn Chipperfield, die Vertreterinnen und Vertreter der Politik beim Festakt, die zahlreichen Mitglieder der Zürcher Kunstgesellschaft und natürlich die breite Bevölkerung an zwei Tagen der offenen Tür mit Gratiseintritt.

Ich freue mich, dass auch künftige Weichen gestellt und die Nachfolge der Direktion geregelt werden konnte, da Christoph Becker das Haus anfangs 2023 nach mehr als zwei Jahrzehnten verlässt. Ihm gebührt auch an dieser Stelle unser herzlicher Dank, er hat für unser Kunsthaus Ausserordentliches geleistet. Mit Ann Demeester, der langjährigen Direktorin am Frans Hals Museum im niederländischen Haarlem, konnte nach intensiver Suche eine Persönlichkeit gefunden werden, die das nunmehr viel grössere Kunsthaus in die Zukunft führen soll, und ich bin sicher, dass Ann Demeester schon während ihrer Einarbeitungsphase ab Sommer 2022 am Kunsthaus und in Zürich mit offenen Armen empfangen wird.

Mein Dank gilt Stadt und Kanton Zürich, den Donatorinnen und Donatoren der Kunsthaus-Erweiterung für ihre grossherzigen Spenden, den Mitgliedern des Vorstands, den Kunstfreunden Zürich, allen voran ihrer grosszügigen und engagierten Präsidentin Gitti Hug, der Stiftung Zürcher Kunsthaus und ihrem Präsidenten Richard Hunziker und den Stiftungen, mit denen wir in den vergangenen Jahren gut und vertrauensvoll für unser gemeinsames Projekt gearbeitet haben.

An dieser Stelle sei auch allen gedankt, die sich mit Rat und Tat und buchstäblich mit ganzem Herzen über viele Jahre für die Erweiterung eingesetzt haben: Rahel Fiechter und Dag Vierfuss, die das Projekt seitens des Hochbauamts und der Kunstgesellschaft geleitet haben, dem fabelhaften Team in der Bauorganisation, den Bauleuten, Handwerkern, Ingenieuren und natürlich dem Hochbauamt der Stadt Zürich. Ohne die reibungslose, bestens vernetzte und stets kollegiale Zusammenarbeit mit Chipperfield Architects Berlin und all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wäre der Entwurf von Sir David Chipperfield nicht in dieser perfekten Gestalt Wirklichkeit geworden. Das ganze Team des Kunsthauses hat im vergangenen Jahr hervorragende Arbeit geleistet, für die ich im Namen des Vorstands herzlich danke.

Die EGKE, die Einfache Gesellschaft Kunsthaus-Erweiterung, hat mit ihrem Präsidenten Walter B. Kielholz dafür gesorgt, dass der Bau in jeder Hinsicht, insbesondere bezüglich der Finanzen, ein Musterbeispiel sein kann für das Zusammenwirken von privatem Engagement mit der Öffentlichen Hand. Während vieler Jahre hat Walter B. Kielholz als Präsident die Geschicke unserer Institution mit Weitblick gelenkt – grosser und herzlicher Dank für alles!

Ihnen, liebe Mitglieder der Zürcher Kunstgesellschaft, danke ich für Ihre Unterstützung und Ihre anhaltende Zuneigung zu unserer Institution. Die Kunstgesellschaft ist auf beeindruckende fast 25 000 Mitglieder gewachsen und macht ihrem Namen als Trägerverein alle Ehre. Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre unseres Jahresberichts!

Ihr Dr. Conrad M. Ulrich
Präsident a. i. der Zürcher Kunstgesellschaft

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