Ausstellungen

 

GERHARD RICHTER. LANDSCHAFT

Bilder mit Landschaftsmotiven finden sich in Gerhard Richters (*1932) Œuvre seit 1957. Damit sind sie so konstant in seiner Arbeit vertreten wie kaum ein anderes Motiv und faszinieren gerade auch wegen ihrer Vielgestaltigkeit. In ihrer Ambiguität liegt die Stärke der Kunst, so Gerhard Richter. Gleichzeitig verkörpern sie eine kritische Reflexion der verloren geglaubten Möglichkeiten der Malerei. Richter lotet neue Möglichkeiten der Malerei bis heute in alle Richtungen aus.

Der Begriff «Landschaft» ist eine junge Erfindung, und ihre Schönheit zu preisen noch jüngeren Datums. Sie dringt erst im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen des Massentourismus ins allgemeine Bewusstsein vor. Unsere Bewunderung für Landschaften verläuft also parallel zur Industrialisierung. Mit der Verwüstung der Landschaft durch Kriege und ökologische Katastrophen erfährt sie noch grössere Beliebtheit, quasi auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Gerade vor dem Hintergrund der kollektiven Pandemieerfahrung sind wir uns bewusst geworden, wie wertvoll sinnliche Erfahrungen im gemeinschaftlichen Rezeptionsvorgang sind, vor allem dann, wenn das Betrachtete zur Projektionsfläche von Sehnsucht wird. Die von dem Berliner Gastkurator Hubertus Butin initiierte und mit Kunsthaus-Kuratorin Cathérine Hug realisierte Ausstellung war thematisch aufgebaut. Die Ausstellung war in Kooperation mit dem Bank Austria Kunstforum in Wien und der Kuratorin Lisa Ortner-Kreil entstanden, wo die Ausstellung im Herbst / Winter 2020 zu sehen war. In Zürich wurde sie um ein Dutzend zusätzlicher Grossformate ergänzt, die in Wien nicht gezeigt werden konnten, darunter Leihgaben aus der Nationalgalerie Berlin, dem Guggenheim Bilbao Museoa, dem Neuen Museum Nürnberg, dem Kunstmuseum Winterthur und der Daros Collection Zürich. So zierte der Katalogumschlag der Zürcher Ausgabe auch nicht «Eis» (1981), sondern «Vierwaldstättersee» (1968), das nur im Kunsthaus gezeigt werden konnte. Der bei Hatje Cantz erschienene Band verfolgte auch das Ziel neuer Betrachtungsweisen des Œuvre Richters, indem unkonventionelle Gesichtspunkte von Mathias Faldbakken und T. J. Demos Eingang fanden. Obwohl Landschaftsbilder eine zentrale Bildgattung in Richters Œuvre darstellen, hat sich bislang nur eine Ausstellung diesem Thema gewidmet, und zwar 1998 im Sprengel Museum Hannover. In Zürich waren rund 130 zwischen 1963 und 2018 entstandene, teils bis zu sieben Meter breite Werke versammelt, die meisten davon waren erstmals öffentlich in der Schweiz zu bewundern. Der Rundgang in einer von Lukas Voellmy konzipierten Architektur war in fünf Kapitel gegliedert: Von Landschaften aus zweiter Hand bis Landschaften als fiktionale Konstrukte.

Die Ausstellung konnte trotz Pandemieeinschränkungen durch ein umfangreiches Vermittlungsprogramm sowie vier «Special Events» unterschiedlichster Prägung ergänzt werden: «Wiederkehr des Erhabenen» mit Julia Gelshorn, Günther Vogt und Julius von Bismarck; Making-Of mit den Co-Kuratoren Hubertus Butin, Cathérine Hug und Lisa Ortner-Kreil; Literatur-Performance «Vom Kopf aufs Papier» mit Julia Weber und schliesslich «100 Klaviere – Soundscapes» mit hundert Pianistinnen und Pianisten an zehn Stationen zwischen Kunsthaus und Münsterhof, mit Stücken von John Cage bis György Kurtág in Zusammenarbeit mit guerillaclassics.

Unterstützt von Credit Suisse – Partner Kunsthaus Zürich und Swiss Re – Partner für zeitgenössische Kunst.

Mirjam Varadinis

WILLIAM FORSYTHE. THE SENSE OF THINGS

Das grosse Highlight des vergangenen Jahres war sicherlich die Fertigstellung des Chipperfield-Baus. Vor der offiziellen Eröffnung im Oktober bespielte William Forsythe (*1949) das neue Gebäude mit einer unvergesslichen Klanginstallation. «The Sense of Things» entstand speziell für den Neubau und lud die Besucherinnen und Besucher zu einem choreografischen Rundgang durch das noch leere Gebäude ein. Ein einmaliges Erlebnis. Wie der Titel schon sagt, ging es bei dem Projekt um den Sinn und die Sinne. In Forsythes akustischer Intervention, die über die Räume des Chipperfield-Baus verteilt war, wurden entwidmete Kirchenglocken in verschiedenen Grössen, Tonhöhen und Klangfarben in einer kontrapunktischen Komposition aktiviert und so die Preview «eingeläutet». Forsythe betrachtete Chipperfields Gebäude als einen immensen Klangkörper und stellte diesen in einen Dialog mit dem Körper der Architektur und jenem der Besucherinnen und Besucher. Gleichzeitig nahm «The Sense of Things» auch die belastete Geschichte der Sammlung Bührle auf und verwies mit den Kirchenglocken auf die unzähligen Glocken-Friedhöfe, die im Zweiten Weltkrieg als Materialdepot für die Herstellung von Waffen dienten. «The Sense of Things» bot Gelegenheit, den Ort «Museum» neu zu erleben und mit anderen Sinnen zu erfahren. Das Begleitprogramm verstärkte diese Idee und bot Führungen von Menschen mit anderen sensoriellen Fähigkeiten an, wie z. B. Blinde oder Gehörlose. Erstmals wurde auch eine Broschüre zu einer Ausstellung am Kunsthaus in Brailleschrift gedruckt.

Unterstützt durch die Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung.

Mirjam Varadinis

HODLER, KLIMT UND DIE WIENER WERKSTÄTTE

Auf Gustav Klimts (1862 – 1918) Einladung hin nahm Ferdinand Hodler (1853 – 1918) 1904 an der XIX. Secessionsausstellung in Wien teil und erfuhr anlässlich der in diesem Rahmen präsentierten Einzelausstellung seinen internationalen Durchbruch. Hodler lernte in der Donaustadt Klimt wie auch die Wiener Hautevolee persönlich kennen, die sich von diesem porträtieren und ihre Lebenswelt von der 1903 gegründeten Wiener Werkstätte gestalten liess. Die von Tobias G. Natter kuratierte Ausstellung beleuchtete den Austausch zwischen den zwei bedeutenden Malern vor dem Hintergrund von Klimts Forderung nach einer Überwindung der traditionellen Unterscheidung von «hoher» und «angewandter» Kunst. Seinen Überlegungen legte Klimt eine «ideale Gemeinschaft der Schaffenden und Geniessenden» zugrunde. Zum folgenreichsten Motor der propagierten Überwindung von «High» und «Low» wurde das Schaffen der Wiener Werkstätte, bei welcher Hodler und seine Frau Berthe 1913 das Mobiliar für ihre Genfer Wohnung in Auftrag gaben. Damit wurden sie zu einem wichtigen Werbeträger für deren Produkte. Einen Höhepunkt erreichte die Präsenz der Wiener Werkstätte in der Schweiz 1917 mit der Gründung einer eigenen Filiale in der Zürcher Bahnhofstrasse unter der künstlerischen Leitung des Salzburger Architekten und Designers Dagobert Peche.

Erstmals wurde im Rahmen einer Ausstellung anhand von rund 160 Werken die Geschichte dieser wichtigen, wenn auch sehr kurzlebigen Filiale thematisiert, darunter Gemälde, Entwürfe, Möbel, Schmuck u. a.

Unterstützt von UNIQA Kunstversicherung Schweiz, der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung, der Truus und Gerrit van Riemsdijk Stiftung und der Karitativen Stiftung Dr. Gerberten Bosch. Mit grosszügiger Unterstützung der Walter B. Kielholz Foundation.

Carlotta Graedel Matthäi

WALTER DE MARIA. THE 2000 SCULPTURE

«The 2000 Sculpture» von Walter De Maria (1935 – 2013) ist eine der grössten für Innenräume konzipierten Bodenskulpturen weltweit. Sie besteht aus insgesamt 2000 weissen Gipsbarren von je 50 cm Länge und 11,8 bis 12 cm Höhe. Die einzelnen Elemente weisen fünf, sieben oder neun Seiten auf. Sie werden auf einer Fläche von 500 Quadratmetern ausgelegt, in insgesamt zwanzig Reihen à einhundert Barren. Die Anordnung folgt einem spezifischen Rhythmus: 5–7–9–7–5–5–7–9–7–5. So ergibt sich eine Art Fischgrätmuster, und je nachdem, wo sich die Besucher befinden, scheinen sich die Barren auf sie zu oder von ihnen wegzubewegen. Es entsteht eine Spannung zwischen durchschaubarer Gesetzmässigkeit und individueller Wahrnehmung.

Diese einzigartige Skulptur hatte Walter De Maria auf Einladung des legendären Ausstellungsmachers Harald Szeemann speziell für den grossen Ausstellungssaal im Kunsthaus Zürich entworfen und sich intensiv mit den spezifischen Raum- und Lichtverhältnissen vor Ort auseinandergesetzt. Dieses Vorgehen, das heute völlig normal erscheint, war damals ungewöhnlich und neu. Szeemann, der regelmässig als «fester freier Gastkurator» am Kunsthaus Projekte initiierte und umsetzte, beschrieb dies als «neue Qualität heutiger Skulptur (…), die nicht mehr Objekt sein soll, sondern den Umraum prägendes, erfüllendes Subjekt».

Die riesige Installation vereint vieles, was für Walter De Marias Arbeiten grundlegend ist: Die Auseinandersetzung mit mathematischen Grundformen, dem Licht, der Weite und dem Raum. Gerade das Licht spielt in «The 2000 Sculpture» eine ganz entscheidende Rolle – dies zeigte sich auch in der diesjährigen Präsentation sehr schön. Je nach Wetter oder Tageszeit veränderte sich das Werk, und es entstanden endlose Variationen von Weissschattierungen, Brechungen und Linien. Dass dies vierzig Jahre nach Entstehung des Kunstwerks noch eine Faszination ausübt, zeigte der rege Zuspruch an Besucherinnen und Besuchern. Erfreulicherweise haben viele junge Menschen die Ausstellung besucht.

Zur Ausstellung im Kunsthaus erschien eine Publikation mit Texten von Harald Szeemann (Reprint), Philip Ursprung und einem Gespräch zwischen Mirjam Varadinis und Thomas und Cristina Bechtler.

Nach Beendigung der Präsentation im Kunsthaus Zürich wird das Werk permanent in einer neu gebauten Ausstellungshalle der Walter A. Bechtler-Stiftung auf dem Luma-Areal in Uster gezeigt.

Unterstützt von Albers & Co. AG und der Boston Consulting Group.

Mirjam Varadinis

EARTH BEATS. NATURBILD IM WANDEL

Zur Eröffnung des Chipperfield-Baus richteten die beiden Kuratorinnen Sandra Gianfreda und Cathérine Hug die Themenausstellung «Earth Beats. Naturbild im Wandel» ein. Sie verstand sich als ein künstlerisches Plädoyer zum Schutz der Erde und ihrer natürlichen Ressourcen für zukünftige Generationen, erwachsen aus der Dringlichkeit der Gegenwart. In sieben Kapiteln zeichnete sie die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Blauen Planeten und seiner Verletzlichkeit nach, wobei die Präsentation asynchron, assoziativ und medienübergreifend war. Die ideengeschichtliche Entwicklung spielte dabei eine ebenso wichtige Rolle wie zukunftsorientierte Szenarien der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen. Die rund 120 Exponate stammten von 46 Künstlerinnen und Künstlern des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Während der Natur in Werken vergangener Jahrhunderte weitgehend als idyllische Szenerie begegnet wurde, trat sie seit den 1970er-Jahren immer deutlicher als durch Menschenhand bedrohte und zugleich schützenswerte Instanz auf. Es wurden Werke aus der Sammlung des Kunsthauses und Leihgaben, darunter auch neue und adaptierte Produktionen von Vaughn Bell, Ursula Biemann, Armin Linke und Anna Jermolaewa, in einem anregenden Parcours versammelt, der sich nicht auf den Chipperfield­-Bau beschränkte. Vielmehr erstreckte er sich über die unterirdische Passage mit der neuen Installation von Olafur Eliasson und den «Olivestone»­-Saal von Joseph Beuys im Müller­-Bau bis zu einem «Gletscherraum» im Herzen des Moser-­Baus.

Mit der Veranstaltungsreihe «Earth Talks» (19.8. – 23.9.21) im Vorfeld der Ausstellung griff das Kunsthaus Zürich die Debatte um den Klimawandel auf – zukunftsweisend und interdisziplinär. Highlights waren die Zürcher Premiere des Dokumentarfilms «The Great Green Wall», koproduziert von und mit Claude Grunitzky im Gespräch mit Barbara Bleisch; das Gespräch mit der norwegischen Bestsellerautorin Maja Lunde in Kooperation mit Gesa Schneider vom Literaturhaus sowie mehrere Podien zu Gestaltungsfragen der Zukunft unter verschiedenen Blickwinkeln wie Technikinnovation, Konsumgewohnheiten, Politik und Philosophie mit Gästen wie Philipp Blom, Aymo Brunetti, Hanna Fischer, Fred Frohofer, Stephanie Hess, Walter B. Kielholz und Andreas Weber. Ein kulinarischer Spaziergang mit Maurice Maggi sowie ein Performance-Konzert mit Oszilot erweiterten das Angebot zudem sinnlich auf ganz unerwartete Weise.

Ganz im Zeichen der Transition wurden neue Formate erprobt: Zusätzlich zu den videoaufgezeichneten acht «Earth Talks» veröffentlichte das Kunsthaus einen Podcast, in dessen zwölf Episoden Evolutionsökologinnen, Anthropologen und Gletscherforscher, Ökofeministinnen, Nobelpreis-Träger und die Klimajugend zu Wort kamen: Philipp Blom, Orsola de Castro, T. J. Demos, Hanna Fischer, Sandra Gianfreda und Cathérine Hug, Jeremy Narby, William D. Nordhaus, Samuel Nussbaumer, Génica Schäfgen, Vandana Shiva, Simone Sommer und Harald Welzer. Der Podcast-Jingle wurde eigens von dem an der Ausstellung teilnehmenden Künstler Marcus Maeder kreiert; für Redaktion und Produktion zeichnete Christoph Keller. Ergänzt wurde das digitale Angebot mit Video-Statements von elf in «Earth Beats» vertretenen Künstlerinnen und Künstlern: Vaughn Bell, Ursula Biemann, Nomin Bold, Tony Cragg, Francesca Gabbiani, Cornelia Hesse-Honegger, Anna Jermolaewa, Mikhail Karikis, Armin Linke, Maurice Maggi und Uriel Orlow.

Unterstützt von Swiss Re – Partner für zeitgenössische Kunst und der Tarbaca Indigo Foundation, sowie von der D&K DubachKeller-Stiftung und der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung für die «Earth Talks».

Sandra Gianfreda und Cathérine Hug

Barockes Feuer. Die Grafik des Giovanni Benedetto Castiglione

Der Maler und Grafiker Giovanni Benedetto Castiglione, diese schillernde Figur aus der italienischen Barockzeit, hätte schon längst eine monografische Schau im deutschsprachigen Raum verdient. Wie unsere Ausstellung «Barockes Feuer» nun vorführen konnte, bedarf es für ein solches Vorhaben nicht einmal der Ölgemälde des Künstlers. Bereits seine Zeichnungen nämlich muten wie kleine gezeichnete Gemälde an. Grund hierfür ist die aussergewöhnliche Technik, auf die Castiglione in seinen Zeichnungen zurückgriff. Er mischte seine Pigmente mit Leinöl und konnte je nach Sättigungsgrad des Pinsels ein ganzes Spektrum an Ausdrucksqualitäten abdecken: von fliessend malerischen Linien bis zu einer spröden, expressiven Strichführung. Es ist uns gelungen, neben über einem Dutzend hochkarätiger Ölpinselzeichnungen aus dem königlichen Besitz in Windsor Castle auch viele Spitzenwerke aus anderen europäischen Sammlungen wie der Hamburger Kunsthalle, dem Museum Boijmans Van Beuningen oder dem Louvre zusammenzuführen. In dieser Dichte wird die zeichnerische Könnerschaft Castigliones wohl die kommenden zwanzig Jahre nicht mehr zu sehen sein. Daneben zeigt sich der experimentelle Geist Castigliones auch in seinen Monotypien, ein hybrides Verfahren, das sich zwischen Zeichnung und Druckgrafik bewegt. Gezeichnet wird, wie der Name Monotypie (Einmaldruck) bereits andeutet, in diesem Falle nicht auf Papier, sondern auf eine Druckplatte, die – sobald sie auf einen Bildträger gepresst wird – ein, allenfalls zwei gelungene Druckresultate ermöglicht. Zahlreiche Monotypien etwa aus der BNF in Paris oder der Albertina in Wien rundeten die Ausstellung ab, die Castiglione als versierten Grenzgänger im Bereich der grafischen Künste in ganzer Breite präsentierte.

Die Ausstellung wurde unterstützt von der Kythera Kultur-Stiftung, Düsseldorf, der Wolfgang Ratjen Stiftung, Vaduz, der Tavolozza Foundation und einer Stiftung, die ungenannt bleiben möchte.

Jonas Beyer

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