Grafische Sammlung

Trotz der anhaltenden Pandemie gab es im Berichtsjahr ausserordentlich viele Aktivitäten in der Grafischen Sammlung. Dies hatte natürlich mit den Vorbereitungen für die Eröffnung des Chipperfield-Baus zu tun, die auch im Bestand zu Verschiebungen und Umhängungen führten. Im Zuge dieser Veränderungen ergab sich die erfreuliche Möglichkeit, neue Räume für die dauerhafte Präsenz von Kunst auf Papier zu nutzen. Dazu gehört der «Grafikraum» im 1. Stock des Moser-Baus, der mit Werken aus der Grafischen Sammlung bespielt werden kann, sowie der «Dreiecksraum» im 1. Stock des Müller-Baus, der als Schaufenster für Arbeiten auf Papier von Alberto Giacometti und Wegbegleitern dient. Jonas Beyer hat in diesen neuen Räumen bereits erste Präsentationen eingerichtet (siehe dazu Abschnitt «Kunst bis 1945»).

Auch in unserem Studiensaal war letztes Jahr viel los. Dreimal so viele Werke wie im Vorjahr wurden den Besucherinnen und Besuchern vorgelegt, was auch im langjährigen Schnitt eine ausserordentlich hohe Zahl ist. Besonders hervorzuheben ist hier das Interesse von Hochschulen und Bildungsinstituten an unserer Sammlung. So wurden mehrere Seminare und Lehrveranstaltungen bei uns im Studiensaal durchgeführt, immer natürlich unter Einhaltung der geltenden Covid-Schutzmassnahmen. Nach längeren Schliessungen im Jahr zuvor war das Bedürfnis, Kunst wieder analog und im Original zu betrachten, merklich spürbar.

Fotografie und Video

Die Neupräsentation der Sammlung im Bestand und im Chipperfield-Bau bot Gelegenheit, Werke aus der Foto- und Videosammlung zu zeigen. So richtete Mirjam Varadinis parallel zur Eröffnung des Chipperfield-Baus eine Präsentation von Fotografien und Videos im Erdgeschoss des Müller-Baus ein, welche Werke ausschliesslich von Künstlerinnen zeigte, die sich mit Identitätsfragen auseinandersetzen. Dazu gehören u. a. Cindy Sherman, Manon, Friederike Petzold, Hannah Villiger oder Gillian Wearing. Auch im Neubau sind Fotografien und Videoarbeiten in der Erstbespielung der Räume zu sehen.

Der Chipperfield-Bau führte auch hinter den Kulissen zu viel Bewegung. Während die Druckgrafiken und Zeichnungen im bestehenden Depot verblieben, wurden Foto- und Videosammlung in den Chipperfield-Bau verschoben. Dieser Umzug war ein logistischer Kraftakt, und es sei an dieser Stelle allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gedankt, die dafür gesorgt haben, dass alles planmässig verlaufen ist. Für die Planung und Durchführung des Umzugs ins neue Fotodepot geht ein besonderer Dank an unseren technischen Mitarbeiter Thorsten Strohmeier. Auch Stefanie Wenzler gilt unser Dank. Sie hat in den letzten drei Jahren massgeblich die wissenschaftliche Aufarbeitung unserer Videosammlung vorangetrieben und war gemeinsam mit Eléonore Bernhard aus der Restaurierung für den Umzug der Videosammlung verantwortlich. Hier lief ebenfalls alles reibungslos, und wir freuen uns, dass die Lagerung unserer Mediensammlung mit dem Einzug in den Neubau eine substanzielle Verbesserung erfahren hat. Leider lief die Stelle von Stefanie Wenzler per 31.12.21 aus und konnte nicht mehr weiter verlängert werden.

Zeitgenössische Kunst

Neben der Präsentation in den Sammlungsräumen spielte zeitgenössische Kunst bei den Ankäufen wieder eine wichtige Rolle. So konnten schöne Monotypien von Zilla Leutenegger erworben werden, die die Künstlerin während und im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie geschaffen hat. Zudem erhielten wir im Berichtsjahr einige wichtige Schenkungen, so u. a. acht grossformatige Zeichnungen des Künstlers und Choreografen William Forsythe, die während des Stücks «Human Writes» entstanden sind. In dem Stück, das 2005 Premiere am Schiffbau feierte, setzte sich Forsythe mit der Unmöglichkeit auseinander, die Menschenrechte überall und dauerhaft in Kraft zu setzen. Auch Werke von Danh Vō und Harald Naegeli erhielten wir als Schenkungen. Für diese grosszügigen Donationen möchten wir uns ganz herzlich bedanken.

Zeitbasierte Arbeiten

Der Umzug der Videosammlung und der zu einzelnen Werken gehörenden technischen Geräte zu Beginn des Jahres in ein neues Depot verdeutlichte die Relevanz der Beschäftigung nicht nur mit den Einkanal-Videos, die im Videorestaurierungs- und -digitalisierungsprojekt von 2015 bis 2020 vertieft bearbeitet wurden, sondern auch mit weiteren zeitbasierten Arbeiten, die Teil der Grafischen Sammlung sind. Neben Ein- und Mehrkanalvideos umfasst dieser Zuständigkeitsbereich auch Film und Installationen mit Video-, Film-, Audio- oder Dia-Komponenten. Da diese Werke in ihrer Grundstruktur häufig komplex sind und darüber hinaus gewisse Anforderungen an ihre Lagerung und Erhaltung stellen, zeigte sich ausgehend vom Umzug die Wichtigkeit einer eingehenden Dokumentation und Sicherung dieser Werke. In einem Projekt Ende des Jahres konnte ein abteilungsübergreifendes Team – bestehend aus der Kunsthistorikerin Simone Gehr (Grafische Sammlung), der Medienrestauratorin Eléonore Bernard (Restaurierung) und dem Audio-Video-Techniker Tony Kranz (Technischer Dienst) – für zehn der betroffenen Werke eine umfangreiche Recherche in den Archivunterlagen durchführen, die Inventarisierung überarbeiten, Erhaltungsfragen der Medienbestandteile diskutieren und die Erfassung der werkzugehörigen Geräte überprüfen. Bei den in diesem Projekt berücksichtigten Werken handelt es sich nur um einen kleinen Teil der zeitbasierten Arbeiten. Die Dokumentation des Vorgehens und der Erfassungsrichtlinien soll zukünftigen Projekten zu diesem Bestand der Grafischen Sammlung als Grundlage dienen.

Kunst bis 1945

In diesem Jahr zielte die Arbeit im Bereich der älteren Kunst schwerpunktmässig auf die Inventarisierung, Digitalisierung und Restaurierung der Skizzenbücher Rudolf Kollers: Das Einscannen sämtlicher Skizzenbücher von Koller, ein Projekt, das bereits 2020 begann, konnte dieses Jahr abgeschlossen werden. Darüber hinaus wurde ein Grossteil der entnommenen Skizzenbuchseiten durch Thorsten Strohmeier fotografiert. Auch die Restaurierung sowohl der Skizzenbücher selbst als auch der entnommenen Skizzenbuchseiten ist erfolgreich durchgeführt und von unserer Papierrestauratorin Rebecca Honold koordiniert worden. Sira Nold, die das Projekt rund um Kollers Skizzenbücher massgeblich betreute, konnte die Bücher parallel dazu in einem derartigen Umfang in unsere Datenbank einpflegen, dass nun über die Seite digital.kunsthaus.ch sukzessive dieser kostbare Bestand einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird: Seit Ende des Jahres können zehn der insgesamt 67 Skizzenbücher digital durchgeblättert werden, weitere Bücher werden folgen. Der Stiftung Familie Fehlmann ist es zu verdanken, dass diese Unternehmung in einem solchen Umfang angegangen werden konnte. Neben dieser arbeitsaufwendigen Erschliessung unseres Skizzenbuchbestands konnten durch Ausstellungsprojekte in dem nun für Grafik vorgesehenen «Dreiecksraum» Höhepunkte aus dem reichen Bestand an Zeichnungen Alberto Giacomettis präsentiert werden, seien diese durch interne Ankäufe, durch das Legat Bruno Giacometti oder als Dauerleihgabe seitens der Alberto Giacometti-Stiftung ans Haus gelangt. Die andere uns neuerdings zur Verfügung stehende Räumlichkeit, der «Grafikraum» im 1. Stock des Moser-Baus, bot die willkommene Möglichkeit, dem Legat von Leonie Tobler, die 2002 verstorben ist, eine angemessene Plattform zu bieten. Tobler hat im Laufe ihres Lebens eine beachtliche Sammlung an druckgrafischen Blättern von Lucas van Leyden über Rembrandt van Rijn bis zu Félix Vallotton angelegt. Die Namen der in ihrer Sammlung vertretenen Künstler liest sich wie ein «Who’s Who» in der Geschichte der Druckgrafik und die Ausstellung erlaubte es dementsprechend, Einblicke in die technischen Entwicklungen der einzelnen Druckverfahren bzw. in die verschiedenen Ausdrucksdimensionen etwa von Holzschnitt, Kupferstich, Radierung und Aquatinta nehmen zu können. Im kommenden Jahr wird dieser Raum mit Vitrinen ausgestattet werden, wofür in enger Abstimmung mit der Restaurierungsabteilung bereits der entsprechende Vitrinenbauer und die technischen Anforderungen eruiert wurden. An Ankäufen wiederum ist dieses Jahr der erfreuliche Erwerb eines vielseitig eingesetzten Skizzenbuches von Johann Gottfried Steffan zu nennen, das zuvor in unserer Ausstellung zur Schweizer Romantik präsentiert wurde. Aus dem Besitz der Nachfahren Augusto Giacomettis liessen sich zudem Vorzeichnungen zu seinem geplanten Jenatsch-Kalender von 1908 sowie eine Vorzeichnung zu dem in unserem Bestand befindlichen Gemälde «Das Kreisen der Planeten» erwerben. Auch an erfreulichen Schenkungen fehlte es nicht: So kamen dankenswerterweise einige kostbare Munch-Lithografien ans Haus, die den ohnehin schon soliden Bestand an Munch-Grafik merklich erweitern. Gegen Ende des Jahres konnte schliesslich noch eine Zeichnung von Stefano della Bella in die Sammlung integriert werden, die sich gut in unseren italienischen Altmeisterbestand fügt, dessen Umfang (klein, aber fein) seit der Ausstellung «Die Poesie der Linie» von 2020 einer breiteren Öffentlichkeit vertraut sein dürfte.

Aktivitäten im Studiensaal und Leihgaben

Den Besucherinnen und Besuchern im Studiensaal der Grafischen Sammlung wurden im Laufe des Jahres insgesamt 763 Werke oder Konvolute vorgelegt; darunter 570 Zeichnungen,
41 Druckgrafiken, 36 Fotografien, 93 Skizzen- und Malerbücher sowie Mappen, 21 Brief- und Archivbände sowie 2 Archivschachteln.

An internen Ausstellungen und Sammlungspräsentationen wurden insgesamt 194 Werke der Grafischen Sammlung gezeigt; davon 83 Zeichnungen, 2 Skizzenbücher, 4 Collagen,
37 Druckgrafiken, 55 Fotografien, 11 Videos, 1 Videoinstallation und 1 Multiple; an externe Ausstellungen wurden insgesamt 59 Werke ausgeliehen; davon 21 Zeichnungen, 1 Skizzenbuch,
6 Collagen, 10 Druckgrafiken, 19 Fotografien, 1 Videoinstallation und 1 Diainstallation.

Mirjam Varadinis

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