Sammlung

Seitens der Sammlung war das Berichtsjahr stark durch die Eröffnung des Chipperfield-Baus geprägt, die ab dem 4. Oktober 2021 in mehreren Schritten erfolgte. Mehr als ein Jahr zuvor war mit dem Beginn der Neugestaltung des Müller-Baus der Startschuss für die umfangreichste Neupräsentation der Sammlung erfolgt, die das Kunsthaus seit Jahrzehnten hat durchführen können. Es finden sich im erweiterten Kunsthaus nun knapp 90 Räume, die für die Präsentation permanenter Bestände zur Verfügung stehen. Von diesen wurden 2020 /21 bis auf vier alle neu – oder zum ersten Mal – eingerichtet. In dieses grosse, in Absprache mit Direktor Christoph Becker entwickelte Projekt waren neben dem Sammlungsteam viele Kolleginnen und Kollegen vom Technischen Dienst und von der Restaurierung involviert. Eine wesentliche Rolle spielte Kuratorin Mirjam Varadinis, die, eingebunden in das Projekt als Ganzes, die kuratorische Betreuung der Gegenwartskunst übernahm, aber auch zentrale Raumeinheiten mit Werken ab den 1960er-Jahren kuratierte. Das Resultat der Neupräsentation wurde im Moment der Eröffnung mit der Publikation «Die Sammlung in neuem Licht» gewürdigt, die in Bild und Wort einen Überblick über die fertig eingerichteten Räume des Museums und deren Nutzung verschaffte.

Ein neuer Schwerpunkt der Präsentation: Das private Sammeln

Das Konzept der im Herbst 2021 vorgestellten neuen Sammlungspräsentation berücksichtigt eine traditionelle Eigenheit des Kunsthauses: Seit der Eröffnung des Moser-Baus 1910 lebt die Sammlung davon, dass sie gemeinsam mit Beständen gemischt gezeigt wird, die nicht Eigentum der Kunstgesellschaft sind, etwa den Werken der Kunstfreunde Zürich (VZK) oder der Alberto Giacometti-Stiftung. Ebenfalls Dauergäste sind seit 1986 etwa die wichtigen Altmeisterbilder der Koetser-Stiftung. Im Moment der Eröffnung des erweiterten Kunsthauses erfuhr dieses Modell jedoch eine markante Veränderung. Dies hat mit dem Prozess der Einbeziehung von vier herausragenden privaten Sammlungen zu tun, der mit der Eröffnung zu einem Abschluss kam und eine enorme Bereicherung der langfristig gezeigten Bestände bedeutete. Es sind dies die Sammlung Knecht mit rund 45 Werken der holländischen und flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts (als einzige im Bestand gezeigt), die Sammlung Emil Bührle mit rund 180 Werken der frühen Moderne, des Impressionismus und der Alten Meister, die Sammlung Merzbacher mit rund 75 Werken des Abstrakten Expressionismus und der Klassischen Moderne und schliesslich die Sammlung Looser mit rund 70 Werken des Abstrakten Expressionismus, der Minimal Art und der Arte Povera. Diese Sammlungen wurden bei der Eröffnung als separate Einheiten gezeigt und nicht mit der Kunsthaus-Sammlung direkt kombiniert. Bei den Sammlungen Knecht und Looser sind grundsätzlich bereits jetzt Präsentationen möglich, die auf einer grosszügigen gemeinsamen Präsentation mit Werken der Sammlung des Kunsthauses basieren.

Mit der Eröffnung trat das private Sammeln innerhalb des Gesamtkonzepts somit als eigene Art der Sammeltätigkeit neben das museale Sammeln der Institution. Wesen und Eigenheiten dieser beiden unterschiedlichen Arten des Sammelns wurden als solche kontrastierend inszeniert und können unter musealen Bedingungen nebeneinander studiert und erlebt werden.

Leitgedanken der SammlungsEinrichtung

Was die Grundbestände der Sammlung ausserhalb der vier genannten Privatsammlungen betrifft, empfahl es sich als Grundregel, die Chronologie der Kunstentwicklung im Auge zu behalten, die einzelnen Bestände jedoch nach Möglichkeit dort zu zeigen, wo sie am besten wirken, und wo sie vom jeweiligen Architekturkontext getragen werden. Es wurden Werkgruppen, die in sich eine Einheit bilden, eigentliche «Cluster» definiert und mit passenden Raumeinheiten in Verbindung gebracht. Die einzelnen Cluster – im Sinne des «Storytelling» könnte man auch von narrativen Einheiten sprechen – funktionieren innerhalb dieses Konzepts autonom und können an andere Cluster grenzen, die thematisch oder stilistisch verwandt sind, oder auch nicht. So entstehen Kontraste zwischen einzelnen Clustern und es treffen unterschiedliche Kontexte aufeinander, die zu neuen Sichtweisen anregen. Diese Vorgehensweise ist die Basis der neuen Gesamtpräsentation.

In besonderer Weise gilt dies für die sogenannten «Interventionsräume» – definierte Räume im Bestand und in der Erweiterung, die im Gegensatz zu ruhig und langfristig strukturierten und bestückten Räumen mit Sammlungsensembles regelmässig neu bespielt werden sollen. Sie haben die Aufgabe, scharfe Gegensätze zu den angrenzenden Räumen zu bilden und damit die klassischen, kanonischen Bestände mithilfe von junger, sehr oft weiblicher und nicht selten kontroverser Kunst zu beleben.

Neben der Einbeziehung von viel mehr Kunst von Künstlerinnen sind das Zeigen von deutlich mehr Werken der Installationskunst und vermehrt auch von Werken von ausserhalb der traditionellen «westlichen» Kunst als weitere besondere Schwerpunkte der Eröffnungspräsentation zu nennen.

Reaktionen auf die Erweiterung

Besuchermässig war die Startphase des erweiterten Kunsthauses sehr erfolgreich. Seitens der Medien und verschiedener Interessengruppen dominierte aber die Kritik an der Einbeziehung, Präsentation und Kontextualisierung der Bührle-Sammlung, die zu einem kleinen Teil aus Beständen ehemaliger Raubkunst und sogenannter Fluchtkunst besteht. Demgegenüber fanden die Anstrengungen zur lebendigen, zeitgerechten Präsentation der Kunsthaus-Sammlung und das besondere Pflegen der oben genannten Schwerpunkte weit geringere Beachtung.

Provenienzforschung in der Sammlung

Das Kunsthaus Zürich prüft jeden Fall von Raub- oder Fluchtkunst im Sinne gerechter und fairer Lösungen. Dies sind wir den früheren Eigentümerinnen und Eigentümern jener Kunstwerke schuldig, die sich von diesen trennen mussten, als sie ihrer jüdischen Herkunft wegen verfolgt wurden oder in sonstige Notlagen gerieten – und ihren Nachfahren. Hier stehen wir in der Verantwortung, und diese übernehmen wir.

Die Suche nach gerechten und fairen Lösungen schulden wir aber auch vorbildlich agierenden damaligen Akteuren in der Schweiz, wie Wilhelm Wartmann. Von 1909 bis 1949 Direktor des Kunsthaus Zürich, handelte er in der Zeit der Nazi-Diktatur verantwortlich und bot wiederholt bedrängten jüdischen Sammlerinnen und Sammlern Unterstützung an. Der Provenienzbeauftragte der Sammlung, Joachim Sieber, hat die Aktivitäten des Kunsthauses im Berichtsjahr wie folgt zusammengefasst: «Im Frühjahr 2021 konnte das wissenschaftliche Forschungsprojekt mit Förderung vom Bundesamt für Kultur (BAK) gestartet werden. Es umfasst 74 vor 1945 entstandene Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen, die am Original untersucht und dokumentiert sowie deren Provenienzen systematisch überprüft, erforscht und sukzessive in der Sammlung Online publiziert werden.

Ein zweites vom BAK unterstütztes Provenienzforschungsprojekt konnte im Archiv der Zürcher Kunstgesellschaft und des Kunsthaus Zürich aufgenommen werden. Im Berichtsjahr wurden zudem an der fortlaufenden Aktualisierung und Publikation der Provenienzen der Sammlungsbestände gearbeitet, zahlreiche externe Anfragen bearbeitet, wie auch an nationalen und internationalen Tagungen teilgenommen. Im Sommer konnte im Rahmen der Neuorganisation der Sammlungsräume erstmals im Bestandsbau ein Interventionsraum zum Thema Provenienzforschung umgesetzt werden. Darin werden anhand mehrerer Objektgeschichten neueste Erkenntnisse der Provenienzforschung vermittelt, wie auch eine thematische Intervention des Künstlers Raphaël Denis präsentiert. Im Zuge der Eröffnung des Erweiterungsbaus konnte sodann das Archiv der Stiftung Sammlung E. G. Bührle in das Archiv der Zürcher Kunstgesellschaft überführt werden. Dieses wird nebst den Provenienzforschungsakten der Stiftung die Grundlage für die geplante kritische Überführung der Provenienzforschung zur Sammlung Emil Bührle ans Kunsthaus Zürich bilden.»

Das Leihwesen

An 26 Ausstellungen wurden 66 Gemälde und Skulpturen (davon 3 Skulpturen der Giacometti-Stiftung und ein Gemälde der Sammlung Emil Bührle) ausgeliehen.

Über Neuzugänge aller Art im Berichtsjahr informieren der Bildteil sowie die Liste mit den Erwerbungen.

Philippe Büttner

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