Ausstellungen

 

Olafur Eliasson: Symbiotic seeing

Olafur Eliasson (*1967) ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler und setzt sich in seinem Werk seit vielen Jahren mit den Folgen des Klimawandels auseinander. In «Symbiotic seeing» beschäftigte sich der dänisch-isländische Künstler mit den Themen Koexistenz und Symbiose. Natürlich ging es – wie meist bei ihm – auch um die Wahrnehmung und das Schauen. «Symbiotic seeing» war keine klassische Retrospektive, sondern vielmehr als thematisch kohärente Gesamtinstallation konzipiert. Mit der Ausstellung zielte Eliasson auf einen Perspektivenwechsel: Er lud die Besucherinnen und Besucher dazu ein, nicht nur über den Klimawandel als Folge menschlichen Handelns nachzudenken, sondern die Position des Menschen als Teil eines grösseren Systems zu verstehen. Das Verhältnis und die Hierarchie von Mensch und anderen Spezies auf der Erde sollte kritisch hinterfragt und Raum geschaffen werden für andere Formen des Zusammenlebens. Diese komplexen theoretischen Überlegungen setzte der Künstler in räumliche Situationen um, die die Menschen nicht nur rational, sondern mit all ihren Sinnen angesprochen haben. Das zeigte sich ganz eindrücklich in der zentralen Installation «Symbiotic seeing», die der Ausstellung ihren Titel gab. Mit Trockennebel und Laserlichtern schuf Eliasson auf fast 400 m2 ein faszinierendes Universum, das die Welt auf den Kopf stellte und ein breit gefächertes Spektrum an Assoziationen wachrief: Waren wir zurück in der «Ursuppe» oder befanden wir uns in einer fernen Galaxie? Der Künstler liess die Antwort absichtlich offen. Ein von der Oskar-preisgekrönten Komponistin Hildur Gudnadóttir realisierter Soundtrack unterstützte das Atmosphärische der Arbeit und begleitete die Besucherinnen und Besucher als Audio-Hintergrund durch die ganze Ausstellung. Zum Schluss der Präsentation gab die über zwanzig Meter lange «Research Wall» Einblick in die vielfältigen Themen, die den Künstler und sein interdisziplinäres Team bei der Vorbereitung von «Symbiotic seeing» beschäftigt hatten.

Die Besucherinnen und Besucher waren begeistert von Olafur Eliassons künstlerischem Universum, und «Symbiotic seeing» wurde zur meistbesuchten zeitgenössischen Ausstellung am Kunsthaus. Leider musste sie aufgrund der Covid-19-Pandemie und des Lockdowns früher als geplant schliessen.

Zur Ausstellung erschien beim Snoeck-Verlag eine Publikation in Deutsch und Englisch. Diese enthält einerseits Installationsaufnahmen der neuen Arbeiten in der Ausstellung sowie Texte, die für das gedankliche Konzept von «Symbiotic seeing» als Inspiration dienten. Textbeiträge stammen u. a. von der Kunsthistorikerin Caroline A. Jones, der Feministin und Naturwissenschafts-Historikerin Donna J. Haraway, der Evolutionstheoretikerin und Biologin Lynn Margulis oder dem Philosophen Timothy Morton.

Zum ersten Mal entstand zur Ausstellung ein Digitorial. Dieses gibt informativ und spielerisch Einblick in die Hintergründe der Ausstellung und ist auch nach deren Ende online einsehbar: eliasson.kunsthaus.ch.

Am 23. Januar und 6. Februar organisierten wir als Rahmenveranstaltung zwei «Black Out Nights». Dafür wurde die elektrische Beleuchtung im Museum ausgeschaltet und die Besucherinnen und Besucher konnten einen Teil der Sammlung des Kunsthauses im Dunkeln und nur mit «Little Sun»-Lampen ausgerüstet besuchen. Das «Little Sun»-Projekt ist eine Initiative, die Eliasson vor einigen Jahren lanciert hat. Ziel davon ist es, mit solarbetriebenen kleinen Lampen in Gestalt einer Blume Licht in Gegenden der Erde zu bringen, die bisher ohne Elektrizität auskommen müssen. Ein Teil des Erlöses dieser Aktion ging an das «Little Sun»-Projekt.

Unterstützt von Swiss Re – Partner für zeitgenössische Kunst, der Art Mentor Foundation Lucerne, der Boston Consulting Group, der Truus und Gerrit van Riemsdijk Stiftung und der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung.

Mirjam Varadinis

Die Poesie der Linie.
Italienische Meisterzeichnungen

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Daran wird man unweigerlich beim Anblick unserer italienischen Altmeisterzeichnungen erinnert, die oftmals der Vorbereitung eines Gemäldes oder Freskos dienten und die Suchbewegungen der Künstler Strich für Strich nachvollziehbar machen. 2015 wurde in der epochenübergreifenden Jubiläumsausstellung «Meisterzeichnungen. 100 Jahre Grafische Sammlung» daran erinnert, dass unsere italienischen Blätter des Cinque- und Seicento nach wie vor einer eingehenden Untersuchung harren. Tatsächlich handelte es sich hierbei um ein Desiderat, umfasst unser Bestand doch herausragende Zeichnungen von gefeierten Meistern wie Raffael, Palma Vecchio, Taddeo Zuccari und einigen mehr. In Zusammenarbeit mit Michael Matile, langjähriger Kurator an der Graphischen Sammlung der ETH Zürich, haben wir uns dieser Aufgabe nun angenommen und die Besucherinnen und Besucher anhand von dreissig Zeichnungen zum genauen Hinsehen eingeladen; schliesslich dürfte sich nur dem aufmerksamen Auge die poetische Qualität einer zart aufgesetzten oder flüchtig hingeworfenen Linie erschliessen. Im Katalog haben wir mit Studierenden des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich buchstäblich Grundlagenforschung betrieben. Den Studierenden wurde darin unter Anleitung ermöglicht, der Provenienz unserer Blätter nachzugehen, die materielle Beschaffenheit der Zeichnungen zu bestimmen und den bisherigen Forschungsstand aufzuarbeiten. Einige unserer Blätter wurden nun überhaupt erstmals in einem Ausstellungskatalog publiziert und einem breiteren Publikum ins Bewusstsein gebracht, darunter eine Zeichnung von Guercino sowie eine reizvolle Skizze Correggios, die auch in der Ausstellung ihren ersten öffentlichen Auftritt hatten.

Der Katalog wurde unterstützt durch die Wolfgang Ratjen Stiftung, Vaduz.

Jonas Beyer

OttiLia Giacometti. Ein Porträt

Ottilia Giacometti (1904 –1937) war die einzige Tochter von Giovanni Giacometti und Annetta Stampa und die Schwester von Alberto, Diego und Bruno, die im Alter von nur 33 Jahren verstarb. Die von Casimiro Di Crescenzo kuratierte Ausstellung vereinigte Gemälde, Plastiken und Zeichnungen von Giovanni und Alberto Giacometti, die der Tochter beziehungsweise Schwester Ottilia gewidmet sind. Ebenso einbezogen wurden dokumentarische Materialien. Der grösste Teil der Exponate – darunter kaum gezeigte Werke und Materialien – stammte aus der Familiensammlung. Weitere Leihgaben kamen aus Museen und weiteren privaten Sammlungen in der Schweiz sowie aus der Pariser Fondation Giacometti. Auch die Alberto Giacometti-Stiftung und das Kunsthaus Zürich selber steuerten Leihgaben bei. Ottilia heiratete 1933 den Genfer Arzt Francis Berthoud. Am 10. Oktober 1937 kam das erste Kind des Paares, Silvio, zur Welt. Die von der Geburt erschöpfte Ottilia starb jedoch einige Stunden später. Ihr Tod war eine Tragödie für die Familie. Albertos Mutter verliess sogleich ihr Tal, um in Genf zu leben und ihren Enkel bei dessen Vater aufzuziehen. Silvio erscheint in der Kriegszeit in einigen Werken Albertos, darunter in eindrucksvollen kleinen Skulpturen. Auch schuf Alberto eine berührende kleine Büste, in der er versuchte, die Erinnerung an seine verstorbene Schwester festzuhalten.

Die Ausstellung endete mit einem Raum, in dem noch nie präsentierte private Filme der Familie Giacometti zu sehen waren. Sie zeigen u. a. die Familie in den frühen 1930er-Jahren, vor und nach Giovanni Giacomettis Tod, und halten auch Eindrücke von Ottilia und Francis Berthouds Reisen sowie die Präsenz des kleinen Silvio als Jungen fest.

Philippe Büttner

SCHALL UND RAUCH. DIE WILDEN ZWANZIGER

Die Spuren vom Geist der 1920er-Jahre sind bis heute vielerorts sichtbar: Sei es im Film, in der Architektur, in der Mode, musikalisch wie politisch. Aber sind die Parallelen nicht besonders verblüffend? Während den 1920er-Jahren die Spanische Grippe vorausging, steht am Anfang der 2020er ebenfalls eine Gesundheitskrise globalen Ausmasses. Bei Drucklegung des Katalogs zur Ausstellung erreichte uns die Nachricht der pandemiebedingten Massnahme eines landesweiten Shutdowns, europaweit und für fast drei Monate, wie sich herausstellen sollte. Es zeichnete sich schnell ab, dass die ursprünglich geplante Ausstellungseröffnung vom 24. April nicht eingehalten werden konnte; mit dem Einhergehen der Grenzschliessungen stellte sich jedoch die viel drastischere Frage, ob die Ausstellung mit 320 Exponaten, davon gut 220 Leihgaben aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Österreich, Tschechien und der Schweiz, sich überhaupt noch realisieren liesse. Somit wurde klar, dass der Katalog als Zeitzeugnis auf jeden Fall termingerecht erscheinen sollte, auch für den Fall, dass die Ausstellung nie eröffnen würde. Der Katalog erschien wie geplant, die Ausstellung eröffnete schliesslich am 3. Juli. Dank grosser Solidarität und Flexibilität der Leihgeber, aber auch unseres Organisationsteams, konnten bis auf zwei Ausnahmen alle Leihgaben nach Zürich reisen. Neuproduktionen von Marc Bauer, Veronika Spierenburg und Rita Vitorelli wurden wie geplant produziert. Manche in den wilden Zwanzigern gestellte Fragen sind hundert Jahre später mehr denn je aktuell: Wie fühle ich mich in meinem Körper und in welcher Beziehung steht dieser zur Umwelt? Wie will ich arbeiten und wohnen? Die 1920er haben die Weichen für modernes Bauen, Demokratie, Mobilität und das Neue Sehen gestellt. Eine ganze Reihe dieser Errungenschaften, so scheint es, werden heute wieder neu verhandelt und in ihrer Definition ergänzt. Das Ziel dieser Ausstellung war, jenseits gängiger Klischees der Frage nachzugehen, wie uns diese Zeit aus ästhetisch-kultureller Warte nachhaltig geprägt hat: Darum auch mehr Bauhaus und Modernismus denn Art Déco, mehr Ausdruckstanz denn Cancan. Grosse Konvolute aus der Kunstbibliothek Berlin und dem Archiv der Universität für Angewandte Kunst Wien gaben zudem die Möglichkeit, kaum bekannte Facetten wie den Ausdruckstanz von Valeska Gert und den Kinetismus von My Ullmann und Elisabeth Karlinsky zu entdecken.

Im Kapitel Mode wurde ein Fokus auf die Zürcher Seidenindustrie und ihre weltweite Ausstrahlung gelegt, die sich in wagemutigen Kooperationen zur Textilgestaltung, wie diejenige mit Starfotograf Edward Steichen, äusserte. Im Rahmenprogramm hat der Spoken Beat-Künstler Jurczok die Aktualität von Bert Brecht und Marieluise Fleisser unter die Lupe genommen. Guerillaclassics-Gründerin Hiromi Gut konnte Ana Dordevic, Lindiwe Mlaba und Valentine Michaud gewinnen, uns in einer Neuproduktion auf eine musikalisch-tänzerische Reise von Darius Milhaud bis Josephine Baker mitzunehmen, wo der legendäre, als Prototyp in unserer Ausstellung gezeigte «Fauteuil Grand Confort petit modèle» (1928) von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand die Inspirationsquelle war. Sei noch zu erwähnen, dass die Kooperation mit dem Guggenheim Museum Bilbao trotz erschwerter Umstände aufrechterhalten werden konnte, wo die Ausstellung mit dem Kunsthaus Zürich als Konzeptgeber und mit rund achtzig Leihgaben als Hauptleihgeber vom 6. Mai bis 19. September 2021 zu sehen sein wird. Von wegen «Schall und Rauch»!

Eine Koproduktion mit den Festspielen Zürich. Unterstützt durch die Zürcherische Seidenindustrie Gesellschaft.

Cathérine Hug

Landschaften – Orte der Malerei

Diese Ausstellung vereinigte eine Auswahl von Landschaftsbildern der Alten Meister von 1450 bis 1750, die zur Sammlung des Kunsthauses gehören oder als Dauer­leihgaben hier deponiert sind. Vertreten waren insbesondere Werke der Stiftungen Ruzicka und Koetser und der Sammlung Knecht. Den Anfang machten Bilder aus dem Spätmittelalter, in denen Landschaft nur als Hintergrund für religiöse Szenen bildwürdig war. Im 16. Jahrhundert gewann die Landschaft nördlich und südlich der Alpen an Bedeutung und wurde zu einem eigenen Thema. Das 17. Jahrhundert rückte die Landschaftsmalerei dann vollends ins Zentrum der künstlerischen Bemühungen. Zuerst in Flandern, dann in Holland entstanden Bilder, in denen das Darstellen von Landschaft als weitem, offenem Raum eine neue Komplexität erreichte. Dabei kam es namentlich in den Niederlanden auch zu einer thematischen Aufgliederung der Landschaftsmalerei: Neben den bekannten Grundtypen von Landschaften finden sich etwa Seestücke oder Landschaften der sogenannten «italianisierenden» Künstler, in denen das Licht des Südens Italiens beschworen wurde. Die letzten Altmeisterbilder der Ausstellung entstanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und stammen von italienischen Künstlern. Die Ausstellung war nach chronologischen und thematischen Einheiten gruppiert. Einige Werke des späten 19. Jahrhunderts und der Moderne (Giovanni Segantini, Vincent van Gogh, Maurice de Vlaminck, Cy Twombly) ergänzten die Altmeisterbilder. Sie zeigten, wie «Landschaft», von den Alten Meistern ausgehend, im späten 19. und im 20. Jahrhundert weiterlebte.

Unterstützt von Albers & Co AG.

Philippe Büttner

Kader Attia: Remembering the Future

Kader Attia wurde 1970 als Sohn algerischer Eltern in einem Vorort nördlich von Paris geboren. Die Erfahrung eines Lebens in zwei Kulturen nutzt der heute in Berlin und Paris arbeitende Künstler als Ausgangspunkt für seine bildnerische Praxis, die sich mit der kolonialen Vergangenheit Europas und ihren Folgen beschäftigt. «Remembering the Future» war Attias erste Einzelausstellung in der Deutschschweiz und umfasste insgesamt 38 Werke. Im Zentrum der Ausstellung stand die neue Videoinstallation «Les entrelacs de l’objet» (2020), die Attia speziell für das Kunsthaus Zürich realisiert hatte. Darin thematisiert der Künstler die aktuell viel diskutierte Frage der «Restitution» nicht-westlicher, insbesondere afrikanischer Artefakte. Die Arbeit ist ein Versuch, sich dem komplexen Thema anzunähern. Historikerinnen, Philosophen, Psychoanalytikerinnen, Ökonomen oder Aktivistinnen kommen darin zu Wort. Ohne Schuldzuweisungen trägt Kader Attia die unterschiedlichen Standpunkte zusammen, mit dem Ziel, eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen. Ergänzt wurde diese neue Installation durch Leihgaben und zwei Werke aus der Kunsthaus-Sammlung.

Das Kunsthaus verfolgt Kader Attias Werk seit mehreren Jahren und hat in dieser Zeit einige Arbeiten angekauft. Parallel zur Ausstellung entstand eine neue grossformatige Skulptur aus Aluminium, die permanent auf dem Heimplatz installiert wurde. Die doppelköpfige Figur «Janus» (2020) zeigt die «gueules cassées» von zwei Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg: Von vorne auf dem Heimplatz sieht man das entstellte Gesicht eines afrikanischen Soldaten und von hinten aus dem Glasaufgang zum grossen Ausstellungssaal das eines deutschen – ein eindrückliches Monument gegen den Krieg und die Gewalt (siehe Abbildungen «Kader Attia»).

Zur Ausstellung erschien eine dreiteilige Publikation in Deutsch und Englisch. Als Begleitprogramm fanden ein Künstlergespräch sowie ein Podiumsgespräch zum Thema «Die postkoloniale Schweiz» statt (mit Patricia Purtschert, Noémi Michel, Bernhard C. Schär, Fatima Moumouni, moderiert von Marcy Goldberg).

Unterstützt von Swiss Re – Partner für zeitgenössische Kunst, der Yanghyun Foundation und der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung.

Mirjam Varadinis

Im Herzen wild. Die Romantik in der Schweiz

Trotz aller Widrigkeiten, die die Pandemie 2020 mit sich brachte, konnte unsere Ausstellung zur Romantik zumindest vier Wochen lang dem Publikum Einblicke in eine bewegte und nach wie vor bewegende Kunstepoche ermöglichen. Besucherinnen und Besucher hatten in dieser Zeit die Gelegenheit, Werke zu betrachten, die sich jenseits des Kanons bewegen, in Privatsammlungen verborgen sind oder aus konservatorischen Gründen nur sehr selten von benachbarten Museen ausgeliehen werden.

Bewusst sprachen wir nicht von einer «Schweizer Romantik», sondern von der «Romantik in der Schweiz»: Die Ausstellung nämlich ging zweigleisig vor, indem sie einerseits die romantischen Strömungen in der Schweiz, andererseits die Rolle der Schweiz für durchreisende Künstler aus dem Ausland in den Fokus rückte. Auch verzichteten wir darauf, den Begriff der Romantik allzu eng zu fassen und schlossen Grenzphänomene bewusst mit ein: Am einen Ende stand Johann Heinrich Füssli, den die Forschung wechselweise entweder als Klassizisten oder als Protoromantiker verbucht, am anderen Ende Arnold Böcklin, der heute am ehesten dem Symbolismus zugerechnet wird, zu Beginn seiner Karriere jedoch stark von romantischen Tendenzen beeinflusst war.

Unterteilt in elf Sektionen, die mit «Nachtseiten der Romantik», «Helden in Aufruhr» oder «Natur im Fragment» betitelt waren, hat das Kunsthaus dieser bislang nur in Einzelaspekten untersuchten Kunstepoche der Schweiz eine längst überfällige Rundumschau gewidmet.

Um die engen Verbindungen zu Künstlern aus dem Ausland zu beleuchten, fanden in der Ausstellung mit ihren rund 170 Gemälden und Zeichnungen auch viele Nichtschweizer – darunter Joseph Mallord William Turner und Joseph Anton Koch – Beachtung. In ihren ganz eigenen Visionen des Vierwaldstättersees oder des Schmadribachfalls erzählen sie viel darüber, wie die Schweiz in dieser Zeit zur Projektionsfläche für Freiheitsideale und individuelle Sehnsüchte gerät. Die Einbindung so gefeierter Namen wie Turner oder Koch hat uns freilich nicht davon abgehalten, auch kleinere, heute nur noch wenig bekannte Schweizer Meister wie Jakob Christoph Bischoff oder Friedrich Salathé in ihrer Bedeutung ernst zu nehmen. Gerade in Italien vermochten letztgenannte Künstler, geschult in der Tradition der Koloristen, ihre Aquarelle gleichsam aus dem Stand auf ein internationales Niveau zu heben.

Drei Videoarbeiten zeitgenössischer Künstler verstanden sich schliesslich als Resonanzräume, in denen romantisches Gedankengut bis heute nachhallt, Werke von geradezu meditativ anmutender, entschleunigter Bewegung. Den Schluss- und Höhepunkt markierte David Claerbouts Video «Travel» mit seiner langsamen Kamerafahrt durch einen scheinbar undurchdringlichen Wald, der sich bei näherem Hinsehen als Videoanimation entpuppt: «Claerbouts Video ‹Travel› führt kunstvoll ins Waldesinnere, das am Ende gar nicht so tief ist: fast ein Akt romantischer Ironie», wie es treffend im «Kunstbulletin» hiess.

Unterstützt von Credit Suisse – Partner Kunsthaus Zürich.

Jonas Beyer

Ottilie W. Roederstein

Ottilie W. Roederstein (1859 –1937) war eine der bedeutendsten Malerinnen ihrer Generation und wichtigste Schweizer Porträtistin der frühen Moderne. Selbstbestimmt und emanzipiert, behauptete sie sich im männlich dominierten Kunstbetrieb und setzte sich über die gesellschaftlichen Normen der Zeit hinweg. Sie vertrat die Schweiz im Ausland oft als einzige Frau neben Ferdinand Hodler, Cuno Amiet und Giovanni Giacometti. Nicht nur in ihrem Heimatland, auch in Deutschland und Frankreich fand sie grosse Anerkennung für ihre Porträts und Still­leben. Neben ihrer erfolgreichen Tätigkeit als Malerin trat Roederstein auch als Kunstmäzenin und zusammen mit ihrer Lebenspartnerin Elisabeth H. Winterhalter, Gynäkologin und die erste deutsche Chirurgin, als Förderin der Frauenbildung in Erscheinung.

Trotz ihrer einst internationalen Wertschätzung ist Roederstein fast unmittelbar nach ihrem Tod in Vergessenheit geraten. Nach über achtzig Jahren war die Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit rund 75 Werken die erste monografische Werkschau in der Schweiz, die das stilistisch vielfältige Œuvre der Künstlerin wieder einem breiten Publikum zugänglich machen sollte – aufgrund des vom Bund angeordneten Lockdowns war die Ausstellung allerdings nur fünfeinhalb Wochen geöffnet. Ergänzt um historische Dokumente, Fotografien und Briefe, wurden die Lebensstationen der Malerin – Zürich, Paris, Frankfurt am Main und Hofheim am Taunus – nachgezeichnet.

Unterstützt von der Elisabeth Weber-Stiftung. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Städel Museum, Frankfurt am Main.

Sandra Gianfreda

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