Presto, Perfect Sound, 2006

Manon de Boer
Presto, Perfect Sound, 2006

In Kunstmuseen erwartet man in der Regel visuelle Erfahrungen, der Klang steht nicht im Vordergrund des Geschehens und ist Angelegenheit von Bühnen. In einer Stadt wie Zürich, die als Geburtsstätte von Dada vor über hundert Jahren gilt, sieht man die Trennlinie hoffentlich nicht so scharf. Die Annäherungsversuche und fruchtbaren Kooperationen zwischen der bildenden Kunst und der Musik haben eine lange Tradition, die sich besonders in der Avantgarde des 20. Jahrhunderts gefestigt hat, wie Karin von Maur mit der Ausstellung «Vom Klang der Bilder» 1985 in der Staatsgalerie Stuttgart umfassend gezeigt hat. Bei Videokünstlerinnen wie Pipilotti Rist ist die Tonspur integraler Bestandteil des Kunstwerks und wird darum mit der Co-Autorenschaft u. a. von Anders Guggisberg ausgewiesen. Und bereits hundert Jahre zuvor, wo es noch kaum dauerhafte Möglichkeiten zur Tonaufzeichnung gab, prägten Künstler wie Robert und Sonia Delaunay den Begriff des Orphismus mit seinen synästhetischen Assoziationskräften zwischen Farben und mentalen Klängen.

Anlässlich dieses Ankaufs wurden die Künstlerin und ihr Protagonist im Dezember 2020 aufgefordert, im O-Ton auf einige Fragen einzugehen. Manon de Boer beschreibt ihr Werk wie folgt: George van Dam wurde gebeten, Béla Bartóks «Solosonate für Violine» (1944) sechsmal einzuspielen, entsprechend entstanden sechs Bild- und sechs Tonspuren. Anschliessend sollte van Dam aus dem Tonmaterial den perfekten Soundtrack zusammensetzen, die Bildmontage synchronisierte de Boer erst danach. Die Sprünge im Bild rühren vom Schnitt der Musik, der nahtlos fliesst – die herkömmliche Dominanz von Bild über Klang wird hier umgekehrt. Die aufwendige, analoge 35-mm-Filmtechnik eignet sich für diesen Montageprozess besonders gut, weil Bild und Ton getrennt aufgenommen und erst am Schnittpult zusammengefügt werden. Zudem zeichnet sich die spezifisch körnige Bildqualität des 35-mm durch eine Patina aus, welche die Imperfektion ästhetisiert. Was das Framing, also die Wahl des gefilmten Ausschnitts anbelangt, interessierte sich de Boer weniger für die Hände als Ausdruck naturgemässer Virtuosität als für die intensive Konzentration im Gesichtsausdruck des Musikers.

George van Dam schätzt, dass Béla Bartóks «Solosonate für Violine» eines der wichtigsten Stücke für Violine darstellt, neben Werken von Bach, Ysaÿe und Luciano Berio. Beim Auftrag für diesen Film lag die Wahl des zu interpretierenden Stücks beim Musiker. Darin spielt van Dam den letzten Satz von Bartóks Originalversion mit Mikrointervallen, d. h. chromatischen 1/3-Stufen, im Gegensatz zu den üblichen Halbtonschritten der Tonleiter. Was die besondere technische und damit auch künstlerische Herausforderung im Produktionsprozess dieses Werkes ausmachte, beschreibt van Dam wie folgt: «Als Musiker ist mir völlig klar, dass die Zeit nicht linear ist. Manons Filmkonzept will – durch die sichtbaren (aber nicht hörbaren) Schnitte – mögliche zeitliche Überlappungen untersuchen. Auf einer sozusagen mikroskopischen Ebene wurde die Audiospur in 96 kHz aufgenommen, was 96 000 potenzielle Bearbeitungspunkte pro Sekunde bedeutet, im Gegensatz zu den 24 möglichen Bearbeitungspunkten im Film (bei 24 Bildern pro Sekunde).»

In einem Zeitalter der Prädominanz von Bildern erscheint es besonders spannend und lehrreich, über unser Verhältnis zu Klängen nachzudenken, wie es uns dieses einzigartige Kunstwerk ermöglicht.

Cathérine Hug

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