Grafische Sammlung

Das Besucheraufkommen im Studiensaal war 2020 pandemiebedingt kleiner, dafür erreichten uns überdurchschnittlich viele Anfragen per E-Mail. Diese teils sehr aufwendigen Recherchen übernahm unsere neue wissenschaftliche Mitarbeiterin Simone Gehr, die per 1. Februar ihre 50%-Stelle in der Grafischen Sammlung angetreten hat. Simone Gehr hat sich in kürzester Zeit in ihr neues Aufgabengebiet eingearbeitet und unterstützt uns seither mit viel Elan. Um Kunstinteressierten trotz teilweiser Schliessung des Studiensaales einen Zugang zu unserer Videosammlung zu ermöglichen, haben wir das «Lockdown Screening» im digitalen Raum auf die Beine gestellt. Stefanie Wenzler, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Medienkunst, Eléonore Bernard aus der Restaurierungsabteilung sowie Sara Nenzi, Social-Media-Verantwortliche am Haus, haben mitgeholfen, die Idee in die Tat umzusetzen. Es wurden u. a. Werke von Elodie Pong, Julian Charrière und Kader Attia gezeigt. Die Videos konnten jeweils über den Kunsthaus YouTube-Kanal sowie Instagram TV angeschaut werden.

Zeitgenössische Kunst

Wir konnten uns auch wichtigen Erhaltungsarbeiten bei zwei grossformatigen Zeichnungen von Bruce Nauman sowie einem Werk von Markus Raetz zuwenden. Alle drei Arbeiten wurden neu gerahmt und sind nun in einem konservatorisch guten Zustand (siehe dazu auch den Bericht der Restaurierungsabteilung). Von Markus Raetz konnten wir noch wichtige Informationen zur Entstehung der Arbeit abholen, kurz bevor dieser im Frühjahr leider verstarb. Zudem beschäftigten uns in der zweiten Jahreshälfte die Vorbereitungen für den Umzug unseres Fotodepots sowie der Videosammlung in den Erweiterungsbau. Während die Bestände auf Papier an den bestehenden Lagerorten verbleiben, ziehen die Foto- und Videosammlung im Frühjahr 2021 in den Neubau um. Dafür musste der Lagerflächenbedarf berechnet und die Infrastruktur geplant werden. Dies übernahm unser technischer Mitarbeiter Thorsten Strohmeier in Zusammenarbeit mit der Papierrestauratorin Eva Glück, der Medienkonservatorin Eléonore Bernard und dem technischen Dienst. An dieser Stelle sei ihnen allen für ihre wichtige und präzise Vorarbeit gedankt.

Bei den Neuerwerbungen im Bereich der zeitgenössischen Kunst gilt es, die grossformatige Zeichnung von Guillaume Bruère «10.03.2018» (2018) zu erwähnen. Diese zeigt ein Porträt der Kunsthaus-Aufsicht Jeremy Huldi und wurde von Bruère für die Ausstellung 2019 im Kunsthaus realisiert. Das Werk ergänzt die bereits früher angekauften, kleinformatigeren Blätter des Künstlers.

Im Bereich der Videosammlung konnten ebenfalls einige schöne Werke erworben werden. Von Manon de Boer beispielsweise haben wir die frühe Arbeit «Presto, Perfect Sound» (2006) angekauft, die die Künstlerin gemeinsam mit dem berühmten Violinisten und Komponisten George van Dam realisiert hatte. Von Lawrence Abu Hamdan (*1985) erwarben wir die Installation «Walled Unwalled» (2018), die in den Tanks der Tate Modern und an der Venedig-Biennale gezeigt worden war. Der libanesische Künstler, der sich selber als «unabhängiger Audioermittler oder Klangdetektiv» beschreibt und dessen Arbeit nicht nur für Museen und Galerien entsteht, sondern immer wieder auch bei Menschenrechtsorganisationen in juristischen Streitfällen Verwendung findet, untersucht darin die Schalldurchlässigkeit und -absorption von Wänden und Mauern anhand verschiedener politischer Fallbeispiele: Der Mordprozess gegen Oscar Pistorius in Südafrika und Abu Hamdans Recherche-Ergebnisse zum Fall des syrischen Gefängnisses Saydnaya werden erwähnt, ebenso wie die Rolle des amerikanischen Senders Radio Free Europe, der sich im Kalten Krieg von München aus an die Hörerinnen und Hörer jenseits des Eisernen Vorhangs richtete.

Im Berichtsjahr erhielten wir zudem einige schöne Schenkungen: Beatrice von Buchwaldt-Ernst vermachte uns Fotografien von Cindy Sherman, Thomas Struth, Thomas Ruff, Floris Neusüss und Urs Lüthi sowie einige Polaroids von ihr selber. Hans und Emmy Bollier schenkten uns die Zeichnung «TRAVEL (7 Seconds)» (2013) von David Claerbout, die sogleich Eingang in die von Jonas Beyer kuratierte Ausstellung «Im Herzen wild» fand. Von Hansueli Jordi durften wir vier Lithografien Albrecht Schniders in Empfang nehmen und die Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung schenkte uns ein Werk von Georg Keller. Zudem erhielten wir zwei Legate: von Dr. Ursula Brunner die 9-teilige Foto-Serie «Delta» (1990 – um 1996) von Hans Danuser und von Stefan von Jankovich zwei Skizzen von Stefan von Jankovich. Wir bedanken uns bei den Schenkenden ganz herzlich für diese wunderbaren Werke.

VIDEO

Im Bereich der Videosammlung wurde im Berichtsjahr ein wichtiger Meilenstein erreicht: Das 2015 gestartete Videorestaurierungs- und -digitalisierungsprojekt – eine Kooperation zwischen den Abteilungen Restaurierung und Grafische Sammlung – konnte nach fünf Jahren abgeschlossen werden. Insgesamt 220 Werke aus der Videosammlung wurden digitalisiert und konnten somit für die Zukunft erhalten und für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden. Alle bis dahin ungesicherten analogen Videobänder wurden in sorgfältiger und teils zeitintensiver Arbeit individuell überprüft, wo nötig gereinigt und digitalisiert. Zudem wurden alle gesammelten Erkenntnisse schriftlich festgehalten. Diese Arbeiten erledigten die Restauratorinnen des Ateliers für Videokonservierung in Bern für uns. Im Kunsthaus übernahm die Kunsthistorikerin Stefanie Wenzler die Recherche, Inventarisierung und den Export der Metadaten für das Recherche-Portal Memobase von Memoriav (Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz), während Eléonore Bernard die Qualitätskontrolle der Digitalisate und deren Vorbereitung zum Einspeisen in den Langzeitarchivserver sowie den eigentlichen Ingest durchführte. Das fünfjährige Projekt war in vielerlei Hinsicht erfolgreich: Das interne abteilungsübergreifende Know-how wurde ausgebaut, der Wechsel von bandbasierter zu dateibasierter Speicherung vollzogen, ein Archivserver samt Daten-Integritätsprüfungs-Software angekauft und die Schaffung eines Computer-Arbeitsplatzes ermöglicht. Die Publikation der Metadaten auf Memobase wirkt sich zudem positiv auf die Sichtbarmachung und Zugänglichkeit der Videosammlung des Kunsthaus Zürich aus. Nach Abschluss dieses Projekts befinden sich die Videodateien schreibgeschützt auf dem Archivserver und die physischen Medienträger im Kunstdepot. Die originalen Kassetten werden für die Zukunft erhalten und für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt, während die digitalen Dateien in Zukunft einem grösseren Publikum in Ausstellungen vorgeführt werden können.

Das Projekt wurde grosszügig unterstützt von Memoriav und der Sophie und Karl Binding Stiftung. Wir danken allen Beteiligten, die zum erfolgreichen Abschluss dieses Projekts beigetragen haben, für ihren Einsatz!

Kunst bis 1900

Im Bereich der älteren Kunst stand die Grafische Sammlung dieses Jahr ganz im Zeichen unseres Drittmittelprojekts zu den Skizzenbüchern Rudolf Kollers. Das von der Stiftung Familie Fehlmann über zwei Jahre finanzierte Projekt sieht die Digitalisierung und Restaurierung sämtlicher unserer über sechzig Skizzenbücher des Künstlers vor. Mit Simone-Tamara Nold konnten wir eine ebenso erfahrene wie versierte Mitarbeiterin für dieses Projekt gewinnen. Im engen Austausch mit der Projektleitung inventarisiert sie die Skizzenbuchblätter mit dem Ziel, dass diese künftig digital durchgeblättert werden können. Dabei beziehen wir auch jene Blätter mit ein, die einst für die Präsentation in Ausstellungen aus den Skizzenbüchern herausgelöst worden sind, und können so die ursprüngliche Einheit der Bücher digital rekonstruieren. Bis Ende 2020 konnten vierzig Bücher im Digitalisierungszentrum der Zentralbibliothek Zürich gescannt werden. 25 davon sind bereits vollständig inventarisiert, was rund 3000 Einzeleinträgen in unserer Museumsdatenbank entspricht. Eine kleine Auswahl dieser Einträge ist auf der Sammlung Online schon jetzt zugänglich und bietet einen ersten Einblick in die Skizzenbücher Rudolf Kollers. Auch unser Skizzenbuch Théodore Géricaults wird derzeit dahingehend dokumentiert, dass man die entsprechenden Einzelseiten künftig mit wenig Aufwand auf unserer Sammlung Online abrufen kann.

In vollem Gange sind zudem die Beratungen bezüglich eines neuen Grafikkabinetts im ersten Obergeschoss des Moser-Baus. Gemeinsam mit unseren Papierrestauratorinnen entwickeln wir derzeit Konzepte, wie sich dort auch kleinere Ausstellungen mit hauseigener Grafik bestmöglich präsentieren lassen.

Vor dem Hintergrund unserer Romantik-Ausstellung erschien es uns angebracht, im Zuge der diesjährigen Ankäufe auch Blätter Schweizer Romantiker zu berücksichtigen, sodass wir eine Zeichnung des Basler Künstlers Rudolf Müller erwarben, die einen Blick auf Capri zeigt. Besondere Beachtung verdient zudem die Zeichnung Odilon Redons, die aus einer Privatsammlung an unser Haus gelangte und an anderer Stelle des vorliegenden Jahresberichts ausführlicher besprochen wird.

Dieses Jahr haben wir zudem den Verantwortungsbereich für unsere Pastelle innerhalb des Hauses neu festgelegt. Dieser Bereich fällt von nun an in die Zuständigkeit der Grafischen Sammlung, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass wir für einige der wertvollsten Pastelle – etwa für Redons «Béatrice» (um 1905) – neue Kartonagen entwickelt sowie neue Standorte festgelegt haben.

Aktivitäten im Studiensaal und Leihgaben

Den Besucherinnen und Besuchern im Studiensaal der Grafischen Sammlung wurden im Verlaufe des Jahres insgesamt 225 Werke oder Konvolute vorgelegt; darunter 70 Druckgrafiken, 124 Zeichnungen, 18 Skizzen- und Malerbücher sowie 13 Fotografien. An interne Ausstellungen wurden 83 Zeichnungen, 21 Druckgrafiken, 69 Fotografien und 3 Videos, an externe Ausstellungen wurden insgesamt 25 Zeichnungen, 34 Druckgrafiken und 17 Fotografien ausgeliehen.

Mirjam Varadinis

obere