Dadaglobe

Tristan Tzara
Dadaglobe

Die von der renommierten Dada-Forscherin Adrian Sudhalter initiierte und gemeinsam mit Cathérine Hug kuratierte Ausstellung «Dadaglobe Reconstructed» (Kunsthaus Zürich 2016) versammelte rund 160 Werke der Poesie und der bildenden Kunst, welche dem 22-jährigen und aus Rumänien stammenden Dadaisten Tristan Tzara (1896 –1963) für sein Buchprojekt «Dadaglobe» von über 50 Künstlern aus ganz Europa zugeschickt worden waren. Wäre die Anthologie 1921 tatsächlich erschienen, würde sie heute zu den ehrgeizigsten Eigenpublikationen der Dada-Bewegung zählen. Vom Grundgedanken sollte dieses Buch weniger als Vehikel bereits bestehender Arbeiten fungieren, denn vielmehr als Impulsgeber und Katalysator für die Produktion neuer Kunstwerke, welche sich für dieses Medium der Zirkulation besonders gut eignen. Tzara hatte neben den Texteinreichungen um vier Typen von Bildbeiträgen gebeten: Originalzeichnungen, Fotografien bestehender Kunstwerke, Seitenlayouts und schliesslich Selbstporträts. Sudhalter fasste in ihrem Katalogbeitrag das Prinzip von Konstruktion und Rekonstruktion dieser Publikation wie folgt zusammen: «1921 erstellte Tzara eine Liste der für den Band vorgesehenen Reproduktionen. Sie umfasst 104 Bilder, 37 Porträts und 67 Kunstwerke, auf insgesamt 160 Seiten verteilt […]. Jedes Werk war in dieser [heute in der BLJD in Paris] Liste mit Nummern, die auf die geplante Seite und das fotomechanische Verfahren der Reproduktion des Werks verwiesen, versehen. […] Als er die einzelnen Objekte und Seitennummern notierte, vermerkte er die jeweilige Seitennummer mit demselben Stift (schwarze Wachskreide oder Bleistift) direkt auf der Rückseite des Originals.» 1

Dieser Ausstellung ist es nun zu verdanken, dass die Dada-Bestände des Kunsthauses von über 700 Werken durch den Ankauf aus Privatbesitz eines wichtigen Konvoluts von 38 Arbeiten ergänzt werden konnten. Dieser umfangreiche Ankauf erweitert substanziell die bisherigen Bestände von rund elf Arbeiten, die Teil von Tristan Tzaras geplanter 160-seitigen Anthologie «Dadaglobe» waren oder in einem engen Zusammenhang damit standen. So  befindet  sich nun  über ein Drittel der für diese Publikationvorgesehenen Bildbeiträge im Besitz des Kunsthauses, während die literarischen Textbeiträge in der Bibliothèque littéraire Jacques Doucet (BLJD) in Paris aufbewahrt sind. Diese 38 Neuzugänge sind Archivdokumente und autonome Kunstwerke zugleich; ziehen wir dazu exemplarisch drei Beispiele heran: Die vom Bildhauer Constantin Brancusi eingereichte Fotografie «Mlle Brancusi» ist zwar das Dokument einer Plastik, gleichzeitig aber auch mehr als das, denn diese existiert in dieser Form heute nicht mehr. Der Bildhauer nahm diese Plastik 1923 selbst auseinander, der Kopf befindet sich heute in der Sammlung der Tate in London. 2 Anders als bei Brancusi, den man in dieser Anthologie nicht unbedingt erwartet hätte, dessen Anwesenheit aber durchaus etwas über den Geist der Inklusion von Dada auszusagen vermag, verhält es sich mit dem Beitrag von André Breton: In der inzwischen zur Ikone gewordenen und vielfach publizierten Dada-Fotografie präsentiert sich Breton bescheiden und dennoch agitatorisch als «Sandwich-Man» mit einem Plakat von Francis Picabia, auf dem in einer für Dada charakteristischen Mischung aus apodiktischem und ironischem Ton zu lesen ist: «pour que vous aimiez quelque chose, il faut que vous l’ayez vu et entendu» (Damit Sie etwas lieben, sollten Sie es gesehen und gehört haben). 3 Beim von I. K. Bonset aka Theo van Doesburg zugeschickten und nur in Spezialistenkreisen bekannten Porträt schliesslich handelt es sich um eine wahre Entdeckung: Das provokative Selbstporträt mit der heiligenscheinartigen Inschrift «Je suis contre tout et tous» (Ich bin gegen alles und alle) demonstriert einen der priorisierten Ansprüche der Dadaisten, durch radikale Ablehnung verkrusteter Werte Raum für die Hervorbringung einer besseren Gesellschaft zu schaffen.

Cathérine Hug

1Adrian Sudhalter, «Zur Entstehung einer Dada-Anthologie», in: Dadaglobe Reconstructed, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich  / The Museum of Modern Art, New York, Zürich 2016, S. 56.
2Illustrierte Werkliste, wie Anm. 1, S. 102.
3Wie Anm. 1, S. 130.

Unbekannter Fotograf
Porträt von André Breton
am «Festival Dada»
[mit Picabia-Plakat], 1920
Unbekannter Fotograf
Fotografie von Constantin Brancusis
«Mlle Brancusi» [später «Plato»
oder «Little French Girl»] 1919 –1920
Unbekannter Fotograf
Porträt von I. K. Bonset:
Je suis contre tout et tous,
1921
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