Grafische Sammlung

Die Grafische Sammlung umfasst nicht nur Werke auf Papier – auch wenn dies natürlich den Hauptbestand ausmacht –, sondern auch Fotografie und Video. Und nicht zuletzt in diesen zwei Gebieten hat sich im Berichtsjahr einiges getan.

FOTOGRAFIE

Die Fotosammlung zum Beispiel ist in ein neues Depot umgezogen. Dies wurde nötig, weil mit der Wiedereröffnung der Eingangshalle und den anschliessenden Räumen rund um das Kabinett der bisherige Standort wegfiel. Der neue Raum bietet nun klimatisch und konservatorisch gute Bedingungen, um die Fotokunst bis zum Umzug in den Erweiterungsbau aufzubewahren. Unser technischer Mitarbeiter, Thorsten Strohmeier, hat die Einrichtung dieses Zwischenlagers geplant und den Umzug betreut. Es sei ihm an dieser Stelle für seinen grossen Einsatz und sein planerisches Geschick gedankt.

Erstmals nach mehreren Jahren konnte im Berichtsjahr auch eine Ausstellung mit Werken aus der Fotosammlung gezeigt werden. Die Sammlungspräsentation «Die neue Fotografie», welche der bis März noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellte Joachim Sieber initiiert und kuratiert hatte, beleuchtete die Veränderungen in der Fotografie der 1970er- und 1980er-Jahre in der Schweiz und international. Die Ausstellung wurde von Publikum und Presse mit grossem Interesse aufgenommen, und wir freuen uns sehr, dass damit endlich wieder einmal ein Fenster auf unsere Fotosammlung eröffnet werden konnte. Einen ausführlicheren Bericht dazu finden Sie unter der Rubrik «Ausstellungen».

VIDEO

Im Bereich der Videosammlung sind im Berichtsjahr einige substanzielle Neuerwerbungen hinzugekommen. Besonders zu erwähnen ist dabei das Werk «Aquila non capit muscas» (2018) des rumänischen Künstlers Mircea Cantor (*1977). Es zeigt das beeindruckende Zusammentreffen eines Steinadlers mit einer Drohne – ein sinnfälliges Bild für den aktuell viel diskutierten Konflikt zwischen Natur und Technik bzw. Mensch und Umwelt. Das bildstarke Video thematisiert daneben auch Fragen von Kontrolle und Überwachung: Der von der niederländischen Polizei trainierte Adler wird nämlich dafür eingesetzt, Drohnen vom Himmel zu holen, die über sensible Sicherheitsgebiete fliegen, wie z. B. Gefängnisse. Das Video ergänzt einen früheren Ankauf des Künstlers, der anlässlich seiner Einzelausstellung 2009 im Kunsthaus zustande kam. Ebenfalls stärken konnten wir die Werkgruppe rund um Kader Attia (*1970). Sein Video «The Body’s Legacies. Part 2: Postcolonial Body» (2018), das anlässlich der Manifesta 12 in Palermo zum ersten Mal gezeigt wurde, thematisiert Formen der Gewalt gegen den afrikanischen Körper, sowohl aus historischer als auch aus aktuell-zeitgenössischer Perspektive. Ebenfalls um Gewalt am Körper geht es in Igor Grubićs Werk «East Side Story» (2008) – und zwar an jenem von schwulen oder lesbischen Menschen. Während auf der einen Seite der Doppelprojektion Found-Footage-Aufnahmen aus dem Fernsehen zu sehen sind, die verbale und tätliche Übergriffe während der Gay-Pride-Demonstrationen in Belgrad (2001) und Zagreb (2002) zeigen, lässt der Künstler in der zweiten Projektion Tänzerinnen und Tänzer an den Orten der Auseinandersetzung auftreten, die mit ihren Körpern einen Akt des «ästhetischen Widerstands» (so Grubić) und Befreiung leisten. Zusätzlich zu den Ankäufen freuen wir uns über die Schenkung des Werkes «Nothing Else» (2014) von Seline Baumgartner (*1980). Die Videoinstallation wurde uns von dem gemeinnützigen Verein philaneo geschenkt, der zeitgenössische Kunst ideell und finanziell fördert: von der Produktion neuer Werke über Ausstellungs- und Vermittlungsprojekte bis zu Ankäufen für öffentliche Sammlungen.

Bei der historischen Videosammlung gedeiht das Projekt der «Digitalisierung und Restaurierung» weiter. Dank der wissenschaftlichen Bearbeitung durch Stefanie Wenzler konnten alle bisher noch nicht erfassten Einkanal-Videos in die Museumsdatenbank aufgenommen werden. Damit ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Videosammlung getan. Stefanie Wenzler und Eléonore Bernard (Mitarbeiterin Restaurierung) haben zudem von März bis Dezember 2019 erstmalig eine Inventur der Videosammlung durchgeführt. Das Hauptziel dabei war die Standortüberprüfung aller Medienträger. Zudem sollte die Inventur eine Auswertung der notwendigen Arbeiten in den verschiedenen Aufgabenbereichen und deren Priorisierung ermöglichen. Dabei wurde klar, dass die Sicherung der «Digital born»-Werke dringend angepackt werden muss. Auch ein Erhaltungskonzept für Werke auf Film gilt es zu erarbeiten. Die Medienkunst wird uns also weiterhin beschäftigen.

ÄLTERE KUNST

Im Laufe des Jahres konnten sämtliche Druckgrafiken Albrecht Dürers, die im Jahr 2000 aus der Sammlung Landammann Dietrich Schindler ans Haus kamen, in der Datenbank MuseumPlus erfasst und auf unsere Sammlung online gestellt werden. Mitte des Jahres erfolgte zudem die Zusage von Fördergeldern, die die Grafische Sammlung bei der «Stiftung Familie Fehlmann» beantragt hatte, um sich in den nächsten zwei Jahren der digitalen Erschliessung und Restaurierung der insgesamt 67 Skizzenbücher Rudolf Kollers zu widmen. Hierfür wurden im Vorfeld zahlreiche Arbeitsgespräche mit Buch- und Papierrestauratoren sowie mit Vertretern des Digitalisierungszentrums der Zentralbibliothek Zürich geführt, um den Skizzenbüchern die bestmögliche Behandlung zuzusichern. An Ankäufen im Bereich der älteren Kunst ist insbesondere auf das sogenannte «Römische Portraitbuch» Daniel Albert Freudweilers hinzuweisen, das die im Kunsthaus vorhandenen Gemälde des Malers um einige bedeutende Bildniszeichnungen ergänzt. Freudweilers «Portraitbuch» befand sich lange in Privatbesitz und gelangte allein durch einen glücklichen Zufall ans Haus. Zudem konnte eine rare Grafik Pier Francesco Molas erworben werden, die in der Schau «Die Poesie der Linie» Anfang 2020 direkt zur Ausstellung gelangte. Letztgenannte Sammlungspräsentation wurde im engen Austausch zwischen unserem Kurator für ältere Grafik und Studierenden der Universität Zürich sowie dem dort als Dozent lehrenden Kunsthistoriker Michael Matile vorbereitet. In nahezu wöchentlich organisierten Seminaren, die im Studiensaal der Grafischen Sammlung stattfanden, übten sich die Studierenden unter fachkundiger Anleitung in der kritischen Betrachtung von Originalen. Das Seminar bot den Studierenden den Rahmen, sich mit Fragen der Zeichnungswissenschaft und deren Grundlagen vertraut zu machen: So wurden unter anderem Methoden der kennerschaftlichen Zuschreibungspraxis sowie Fragen der Zuordnung von Zeichnungen zu einzelnen Kunstlandschaften erörtert. Auch für ein breiteres Publikum öffnete die Grafische Sammlung am internationalen «Wochenende der Grafik» ihre Türen. So konnten interessierte Besucherinnen und Besucher Blicke in eine im Aufbau befindliche Ausstellung werfen oder am Bildschirm nachverfolgen, wie die einzelnen Kunstwerke auf Papier durch unsere Mitarbeitenden digital erfasst werden. Ferner bot sich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Gelegenheit, einige der nur selten ausgestellten Meisterzeichnungen im Original vorgelegt zu bekommen.

PROVENIENZEN DER GRAFISCHEN SAMMLUNG, 1933–1950

Das wissenschaftliche Forschungsprojekt «Provenienzen der Grafischen Sammlung im Kunsthaus Zürich» mit Förderung vom Bundesamt für Kultur (BAK) wurde im Frühjahr 2019 erfolgreich beendet. Untersucht wurden 3900 Werke, die im Zeitraum von 1933 bis 1950 in die Grafische Sammlung gelangt sind. Keines der untersuchten Werke konnte als Raubkunst deklariert werden. Zwei Drittel der Zugänge lassen sich als unbedenklich einstufen. Bei den übrigen Werken konnte mindestens der Vorbesitzer oder die Vorbesitzerin identifiziert werden, es besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf. Die Forschungsresultate liessen sich im Sommer zudem in der Sonderschau «Provenienzen im Fokus» im Rahmen der Sammlungspräsentation «Stunde Null» vermitteln, für die auch ein Sammlungsheft publiziert wurde. Zusätzlich wurden die Provenienzen aller rund 3900 bearbeiteten Werke auf der Website des Kunsthaus Zürich sowie in Teilen in der neuen Sammlung online zugänglich gemacht. Nach Abschluss des Projektes hat sich das Kunsthaus entschieden, dem Bereich Provenienzforschung eine feste Stelle zuzuweisen, die ab April von Joachim Sieber übernommen wurde. Mit der Einrichtung dieser festen Stelle trägt das Kunsthaus dafür Sorge, dass weitere Teile des Bestandes der Grafischen Sammlung wie auch der Sammlung der Gemälde und Skulpturen wissenschaftlich erschlossen und Ergebnisse publiziert werden können

PLAKATSAMMLUNG UND NEUE WECHSELRAHMEN

Beschäftigt hat uns im vergangenen Jahr auch die Plakatsammlung. Diese liegt seit Jahren im Aussenlager und niemand wusste, was sie wirklich beinhaltet. In einem gemeinsamen Effort haben wir im Laufe des Jahres die mehreren hundert Plakate gesichtet und dabei festgestellt, dass fast alle Plakate zu Ausstellungen im Kunsthaus ab 1910 archiviert worden sind. Die Bestände wurden geordnet, Basisinformationen dazu aufgenommen und die Plakate z. T. neu verpackt. Dabei kam uns die neue Passepartout-Schneidemaschine zugute, die anfangs 2019 angeschafft werden konnte und mit der Thorsten Strohmeier neben präzisen Passepartouts nun auch Lagerungskisten in verschiedenen Grössen produzieren kann. Damit sind Umlagerungen von Beständen einfacher und auch kostengünstiger möglich als früher.

Auch beim Ein- und Ausrahmen von Werken der Grafischen Sammlung haben wir im Berichtsjahr einen grossen Fortschritt erzielt. Wir konnten ein neues Wechselrahmensystem einführen, das die bisherigen Rahmen aus den 1980er-Jahren schrittweise ersetzen wird. Das Handling mit den neuen Rahmen ist für die Kunst schonender, und das Glas entspricht nun auch aktuellen Museumsstandards. Zudem ist das Design elegant und zeitgemäss. Wir freuen uns sehr über diese neue Lösung, die sowohl für ältere wie auch für neue Kunst gut funktioniert und schön aussieht.

AKTIVITÄTEN IM STUDIENSAAL UND LEIHGABEN

Den Besucherinnen und Besuchern im Studiensaal der Grafischen Sammlung wurden im Verlaufe des Jahres insgesamt 466 Werke oder Konvolute vorgelegt; darunter 80 Druckgrafiken, 322 Zeichnungen, 31 Skizzen- und Malerbücher, 27 Fotografien sowie 6 Archivschachteln. An interne Ausstellungen wurden 33 Zeichnungen, 35 Druckgrafiken, 1 Druckmedium, 49 Fotografien, 3 Videos, an externe Ausstellungen wurden insgesamt 3 Zeichnungen, 3 Druckgrafiken, 11 Fotografien und 1 Videoskulptur ausgeliehen.

Mirjam Varadinis, Jonas Beyer, Joachim Sieber, Sonja Gasser

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