Stillleben mit Malutensilien

Ottilie W. Roederstein
Stillleben mit Malutensilien, 1930

Ottilie Wilhelmine Roederstein, 1859 in Zürich geboren, gehörte zu Lebzeiten zu den international angesehenen Künstlerinnen.1 Nach einer ersten Ausbildungsphase in Zürich und Berlin bildete sie sich ab 1882 im sogenannten «Atelier des Dames» von Jean-Jacques Henner und Carolus-Duran in Paris weiter.2 In Paris stellte die Künstlerin ihre Gemälde von 1883 bis 1913 regelmässig an den Salons sowie an den Weltausstellungen von 1889 und 1900 aus. 1891 liess sich Roederstein zusammen mit ihrer Partnerin, der deutschen Gynäkologin Elisabeth H. Winterhalter, in Frankfurt am Main nieder. Hier engagierten sich die beiden Frauen, deren Lebensgemeinschaft gesellschaftlich akzeptiert war, in der lokalen Frauenbewegung. 1909 bezogen sie ein eigens für sie im modernen Stil gebautes Haus in Hofheim am Taunus, wo sie bis an ihr Lebensende wohnhaft blieben. Bis zu ihrem Tod 1937 war Roederstein eine gefragte Künstlerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Verbreitung des Abstrakten Expressionismus und des Informel geriet ihr figuratives Werk allerdings sehr rasch in Vergessenheit.

Roederstein orientierte sich zunächst an der dunkeltonigen Malerei der französischen Kunstakademie, später an derjenigen der Meister der italienischen und deutschen Renaissance. In der frühen Zeit experimentierte sie auch mit der damals wiederentdeckten Technik der Temperamalerei. Um 1900 hellte sie ihre Palette allmählich auf. Nach einer impressionistischen Phase fand sie in den 1920er-Jahren zu einer sachlich-nüchternen Bildsprache. Roederstein spezialisierte sich auf Figurenbilder, hauptsächlich Porträts, die sie in Auftrag bekam, malte jedoch auch allegorische und biblische Sujets sowie Aktbilder und Szenen aus dem Alltag. Daneben war die Malerin auch für ihre Stillleben bekannt. Diese zeichnen sich oft durch einen klaren und einfachen Bildaufbau aus, so auch das «Stillleben mit Malutensilien» von 1930. Auf einer rot bedeckten Fläche zeigt es einen schlichten beigefarbenen Keramiktopf, in dem sechs Pinsel unterschiedlichen Typs stehen. Davor ist eine rechteckförmige Palette schräg aufgestellt, die ihrerseits zwei Pinseln Halt bietet. Auf die Palette hat die Künstlerin die drei Grundfarben Blau, Rot und Gelb in abgemischten Tönen aufgetragen. Innerhalb der gesamten Komposition, die aus warmen Rot-, Orange- und Gelbtönen aufgebaut ist, erhält der blaue Farbfleck ein starkes Gewicht. Es ist bezeichnend für Roederstein, wie gekonnt sie die spärlichen Gegenstände mittels unterschiedlich diagonaler Platzierung zu einem spannungsvollen Ganzen zusammenfügt. Die Attribute des Malerberufs kommen in ihren Stillleben sehr selten vor. Programmatischer tauchen sie in drei Selbstbildnissen auf, in denen sich die Künstlerin selbstbewusst mit Pinseln in der Hand porträtiert. «Stillleben mit Malutensilien», das die Bestände Roedersteins im Kunsthaus Zürich auf das Beste ergänzt, befand sich einst in der Sammlung von Theodor Wolfensperger, Bankdirektor und Schweizer Honorarkonsul in Frankfurt am Main.3 Zusammen mit seiner Frau Anna Elisabeth gelang es ihm, mehr als dreissig Werke von Roederstein zusammenzutragen.

Sandra Gianfreda

1Barbara Rök, Ottilie W. Roederstein (1859–1937). Eine Künstlerin zwischen Tradition und Moderne, Monographie und Werkverzeichnis (Diss. Marburg 1997), hg. von Eva Scheid anlässlich der gleichnamigen Ausstellung, Ausst.-Kat. Stadtmuseum Hofheim a. Ts., Marburg 1999.
2Frauen wurden erst 1900 zur École des Beaux-Arts zugelassen.
3Zu Wolfensperger siehe den ausführlichen Artikel von Jens-Holger Jensen: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/frankfurt_sachsenhausen_naeher_betrachtet_
hans_thoma_strasse_10_johann_theodor_wolfensperger?nav_id=7359
[5.2.2020].

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