Sehr geehrte Mitglieder der Zürcher Kunstgesellschaft
2023 war für das Kunsthaus ein Jahr der grossen Entwicklungen. Im ersten vollen Jahr des Betriebs mit Ann Demeester als Direktorin und mir als Präsident der Kunstgesellschaft konnten wichtige Weichen für die Zukunft gestellt werden.
Nach der Eröffnung des Chipperfield-Gebäudes am Heimplatz können wir stolz darauf sein, dass das Museum das zweite Jahr in Folge über eine halbe Million Eintritte verzeichnet – weit mehr als die für das erweiterte Kunsthaus angepeilten 400 000 Besuche. Auch Sie als Mitglieder sind uns, trotz eines leichten Rückgangs gegenüber dem Höchststand 2022, treu geblieben und haben sich in grosser Zahl für das Kunsthaus engagiert.
Der aktive Dialog mit Ihnen als treuer «Fanbase» wurde dank einer neuen Initiative des Vizedirektors Christoph Stuehn und der Direktorin Ann Demeester gefördert. Ein jährliches Mitgliederforum, bei dem Direktion und Geschäftsleitung mit den Mitgliedern in einen lebendigen Dialog treten, wurde ins Leben gerufen und fördert den aktiven Austausch zwischen dem Museum und den Mitgliedern, die sich mit unserem Haus verbunden fühlen.
Ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Ausstellungsprogramm zog alle in seinen Bann. Gross angelegte thematische Ausstellungen wie «Re-Orientations» – über den Einfluss des Islams auf die westliche Kunst – und «Zeit» – über die Allgegenwart des Phänomens Zeit in all seinen Erscheinungsformen – wurden mit exquisiten Präsentationen kombiniert, die sich auf den Dialog zwischen Künstlerinnen und Künstlern wie Käthe Kollwitz und Mona Hatoum oder Alberto Giacometti und Salvador Dalí konzentrierten. Kabinettausstellungen, unter anderem über die junge Schweizer Künstlerin Hannah Weinberger und den 1976 verstorbenen Marcel Broodthaers, beleuchteten noch unbekannte Aspekte der ständigen Sammlung des Kunsthauses. Erstmals wurde auch das Foyer Haefner im Chipperfield-Bau mit Kunst bespielt: Die monumentalen Textilarbeiten der polnischen Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas konnten von allen, die diesen frei zugänglichen Raum betraten, gesehen und erlebt werden.
Der elegante Neubau ist ein Blickfang, aber auch unsere historischen Gebäudeteile auf der anderen Seite des Heimplatzes bleiben ein beliebter Ort. Im April konnten die letzten Räume, die nach dem Brand wegen Sanierungsarbeiten geschlossen worden waren, der Öffentlichkeit wieder übergeben werden. Dem Team gelang es, diese gewaltige Operation effizient abzuschliessen, und die Besucherinnen und Besucher konnten wieder uneingeschränkt die dort ausgestellten Werke der Sammlung geniessen.
Als neuer Impuls im Bestand wurde die Reihe «ReCollect!» ins Leben gerufen, bei der Kunstschaffende als Kuratorinnen und Kuratoren fungierten und Teile der beeindruckenden historischen Sammlung auf originelle Weise präsentierten, kombiniert mit neuen eigenen Arbeiten. Das Alte und Vertraute wurde so überraschend und abenteuerlich.
Als Annäherung an die Ursprünge des Kunsthauses als Künstlerhaus wurde im vorübergehend leerstehenden Restaurant, das normalerweise von der Stiftung Zürcher Kunsthaus betrieben wird, ein Pop-Up-Projekt lanciert. KunstXausZürich hat Kunst und Gastronomie verbunden und auf der Basis eines Open Calls wurden Kollektive eingeladen, das Restaurant für einige Monate in einen kreativen Treffpunkt zu verwandeln. Damit verband sich das Kunsthaus einmal mehr mit der jungen, innovativen Energie der eigenen Stadt.
Das Museum bot der Öffentlichkeit viele faszinierende Aktivitäten, aber auch hinter den Kulissen wurde auf Initiative der Direktion viel getan, um das Museum zu optimieren, von der Digitalisierung bestimmter Prozesse über die Ernennung eines externen Vertrauensberaters für das Personal, die Organisation von Townhalls für das gesamte Team bis hin zur Formulierung neuer Grundwerte für die Identität des Museums in Zusammenarbeit mit Jung von Matt und der Entwicklung einer Fundraising-Strategie durch das neue kleine, aber aktive Team von Partnerschaften und Philanthropie.
Auch in anderen wichtigen Bereichen wurde eine Strategie entwickelt, die es dem Kunsthaus ermöglicht, nicht nur operativ zu handeln, sondern sich systematisch auf die Zukunft vorzubereiten. Mit der Lancierung einer Provenienzstrategie für Bestände im Eigentum der Zürcher Kunstgesellschaft und dem Aufbau eines vollwertigen Teams Provenienzforschung, das mit eigenen Mitteln, einer temporären Projektunterstützung des Bundesamts für Kultur (BAK) und mit Mitteln der Legislaturtranche des Kantons 2019 – 2023 finanziert wurde, änderte sich der Ansatz des Kunsthauses wesentlich. Auf der Grundlage dieser Strategie – die auf der Website des Kunsthauses nachzulesen ist – vertieft und intensiviert das Kunsthaus die Forschung in der eigenen Sammlung und handelt bei Bedarf aktiv. Die Merkmale der neuen Strategie des Kunsthauses zur Provenienzforschung sind: proaktives Vorgehen, professionelle Prüfstandards und Qualitätsstandards, faire und gerechte Lösungen bei substantiierten Hinweisen auf unrechtmässigen Besitz und verbesserte Transparenz und Vermittlung, sowie die Anrufung einer unabhängigen Expertenkommission.
Nachdem angekündigt worden war, dass auf nationaler Ebene per 1. Januar 2024 eine unabhängige Expertenkommission für historisch belastetes Kulturerbe geschaffen würde, verzichtete das Kunsthaus auf die Einsetzung eines eigenen Gremiums.
Im Mai haben Stadt und Kanton Zürich und die Zürcher Kunstgesellschaft auf Empfehlung von Prof. Felix Uhlmann und dem Runden Tisch, Dr. Raphael Gross das Mandat für die Durchführung der Überprüfung der bestehenden Provenienzforschung zur Sammlung Bührle erteilt. Der Ergebnisbericht von Gross, seit 2017 Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, wird Ende Juni 2024 erwartet.
Unterdessen blieb das Kunsthaus nicht passiv, sondern unternahm im Dialog mit vielen Partnern und Akteuren eigene aktive Schritte, um die Diskussion um die Sammlung Bührle konstruktiv zu führen. Seit dem 3. November zeigt das Kunsthaus Zürich die Sammlung unter dem Titel: «Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt». Im Zentrum stehen verschiedene – auch widersprüchliche – Perspektiven auf den historischen Kontext, in dem der Mäzen und Waffenproduzent Emil G. Bührle seine Sammlung aufbaute: Hervorgehoben wird die Frage, wie ein differenzierter Umgang mit Geschichte in der unmittelbaren Gegenwart gelingen kann. Schon die Konzeption der Ausstellung fand unter neuen Prämissen statt – nämlich in Regie eines abteilungsübergreifend und interdisziplinär zusammengestellten Kernteams und mit einem unabhängigen, kompetenten Beirat, der uns immer wieder kritisch hinterfragte. Der Beirat trat wenige Wochen vor der Eröffnung zurück. Das ist bedauerlich und zeigt, wie komplex die Thematik ist und dass Vielstimmigkeit auch zu Dissens führen kann. Vom Publikum hingegen wird die polyphone Neupräsentation gut angenommen. Die vielen interaktiven Angebote werden rege genutzt. Und 2024 wird eine zweite Phase gestartet mit Debatten, Screenings, Performances und Künstlergesprächen. Hiermit lösen wir ein, was ich als Vision für das Kunsthaus bei meinem Antritt postuliert habe und worin Ann Demeester und ich uns einig sind: dass das Kunsthaus neben einem Bilderpalast auch eine Plattform für gesellschaftliche Debatten sein möge.
Der Vorstand unterstützt diesen Ansatz und konnte sich im vergangenen Jahr nach den Rücktritten von Dr. Lukas Gloor und Daniel Hauser über Neuzugänge freuen. Neu wählte die Generalversammlung den passionierten Kunstsammler mit der weltweit bedeutendsten Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst, Dr. Uli Sigg. Die Stadt Zürich hat die preisgekrönte Künstlerin Latefa Wiersch als neue Vertretung der Künstlerschaft in den Vorstand delegiert.
Neben vielen positiven Entwicklungen gab es in diesem Jahr auch viele Herausforderungen. Nachdem Ende 2022 auf die interne Vermisstmeldung zweier als Dauerleihgaben im Kunsthaus deponierten Altmeistergemälde, deren Veröffentlichung zu Beginn des Jahres 2023 und Ermittlungen der Polizei keine Hinweise zum Wiederauffinden der Objekte geführt hatte, wurde im Sommer ein Finderlohn ausgesetzt. Die Suche geht weiter.
Der Untergang der Credit Suisse, Partnerin des Kunsthauses seit rund 30 Jahren, konfrontierte uns mit der Frage, ob die Bank ihre Verpflichtungen gegenüber dem Kunsthaus noch würde erfüllen können. Die Direktion intensivierte Gespräche und im Herbst zeichnete sich ab, dass die UBS zur Übernahme des Sponsoringvertrags der Credit Suisse mit dem Kunsthaus im Jahr 2024 bereit ist.
Ein neues Museum, das doppelt so gross ist wie das alte, bringt neue und oft unerwartete Herausforderungen mit sich. Hinter den Kulissen wurden mit massgeblicher Unterstützung der Boston Consulting Group die Auswirkungen dieses «Supersizing» auf die Organisation, das Personal, die Abläufe und die Finanzen nach eineinhalb Jahren Betrieb analysiert. In den kommenden Jahren werden Schritte unternommen, um die immensen Auswirkungen dieser physischen Erweiterung auf den Betrieb und die Finanzierung des Museums zu bewältigen.
2023 war auch das erste Jahr mit einem neuen Subventionsvertrag zwischen der Stadt Zürich und unserem Verein. Es war zweifellos angezeigt, nach 35 Jahren einen Vertrag, der immer nur in einzelnen Passagen aktualisiert worden ist, grundlegend zu überarbeiten. Inhaltlich, betrieblich, finanziell und organisatorisch spiegelt die Leistungsvereinbarung die zeitgenössische Kulturpolitik in der Stadt Zürich und bringt neben der Unterstützung auch zusätzliche Verpflichtungen, die das Kunsthaus erfüllen muss.
Die Covid-Krise hat gezeigt, dass das Kunsthaus unverschuldet einen Ausfall seiner Eigenmittel über mehrere Jahre verkraften muss. Dem trägt der neue Subventionsvertrag Rechnung, indem er Defizite, die über mehrere Jahre anfallen können, nicht drakonisch sanktioniert. Auch grössere Sanierungen, die mit einem Aussetzen von Leistungen, wie z. B. der Vermietung von Flächen oder dem Schliessen von Ausstellungsräumen, verbunden wären, können die Einnahmesituation vorübergehend verschlechtern. Für solche Fälle wird im Vertrag nun vorgesorgt. Das ist gut, denn vor uns liegen grosse Aufgaben. In wenigen Jahren sollen auch die Gebäudeteile von Moser, Müller und Pfister den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, die mit dem Chipperfield-Bau als Pionierleistung im Museumsbau umgesetzt werden konnten.
Mit dem neuen Subventionsvertrag verpflichtet die Stadt das Kunsthaus, seine Rabatte zu erhöhen. Berechtigte erhalten nun dreissig Prozent Reduktion auf die regulären Eintrittspreise und Teilnahmegebühren. Da trotz rekordhohen Eintrittszahlen der Betrieb seit Eröffnung der Kunsthaus-Erweiterung Verlust einfährt, trafen Vorstand und Direktion Vorkehrungen, um den Eigenfinanzierungsanteil des Kunsthauses langfristig zu stärken. Dazu gehören neben einer proaktiven Fundraisingstrategie ab dem laufenden Jahr auch die Reduktion der Öffnungszeiten am Mittwochabend, die Erhöhung der regulären Eintrittspreise, der Tarife von privaten Führungen, die Gebühr für die Nutzung des Audioguides und höhere Servicepauschalen bei der Begleitung von Film- und Fotoprojekten kommerziell tätiger Unternehmen. Die grossen finanziellen Herausforderungen, die vor uns liegen, werden auch in den kommenden Jahren viel von uns verlangen. In Verbindung mit einer neuen Dynamik in Programm und Image wollen wir uns ihnen jedoch mit Zuversicht stellen. Dabei zählen wir auf Ihre Unterstützung und Begeisterung für das Haus und freuen uns darauf, Sie oft in unserem Museum begrüssen zu dürfen.
An die Mitglieder des Vorstands der Zürcher Kunstgesellschaft, der ehrenamtlich wirkt, an die Stiftung Zürcher Kunsthaus, den Präsidenten Kaspar Wenger und an den Geschäftsführer Matthias Alber geht mein besonderer Dank.
Mein Dank gilt weiter Stadt und Kanton Zürich, unseren Partnern UBS und Swiss Re sowie allen Sponsoren, Stiftungen und Gönnerinnen und Gönnern.
Zum Schluss möchte ich mich auch persönlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kunsthauses ganz herzlich für ihren ausserordentlichen Einsatz bedanken.
Mit Anerkennung und Respekt dürfen der Vorstand, dürfen Sie, liebe Mitglieder, diesen Jahresbericht 2023 zur Kenntnis nehmen. Viel Wissenswertes steckt darin. Persönlich lerne ich viel daraus, und in der Hoffnung, dass Sie mit dem, was Ihr Verein im letzten Jahr erreichte, zufrieden sind, empfehle ich Ihnen diesen Jahresbericht sehr gerne zur Lektüre.