Sonja Sekula
Open Door, 1949 – 1951
«I love the silence here […] All is full of windows. [...] to fulfill the wishdream into touchable matter», schrieb Sonja Sekula (1918 in Luzern – 1963 in Zürich) im Dezember 1946 in einem Brief an Robert Motherwell.1 Die 28-Jährige schildert hier ihren starken Eindruck, den New Mexico auf sie hinterlassen hat. Das mag angesichts ihrer Herkunft einigermassen überraschen, gibt der Vierwaldstättersee mit dem ihn umgebenden Alpenpanorama doch Anlass für abertausend staunende Gesichter pro Jahr. Was Sekula in den entlegenen und kargen Gegenden New Mexicos aber finden konnte und in ihrer Kunst verdichtete, hat heute mehr denn je Relevanz: Leere, Stille, Weite… Unsere Aufmerksamkeit ist oft gefangen, und wenn das gerade nicht der Fall ist, sucht sie danach, gebannt und gespannt zu sein. Wir lassen den Blick und die Gedanken kaum noch schweifen. Wir bündeln unsere Aufmerksamkeitsressourcen im digitalen Raum, das «Fenster» dazu ist heute kaum noch grösser als eine Handfläche. Und so radikal, wie Sekulas Aussage gegenwärtig erscheinen mag, wirken auch ihre Bilder aus den 1950er-Jahren. Die Werke muss man erfahren. Sie lassen sich mit ihrer Aura nicht adäquat reproduzieren (was das Verfassen dieses Textes zu einer spannenden Aufgabe macht). Das Kunsthaus freut sich über den Zuwachs dreier Schenkungen von Sonja Sekula aus Privatbesitz. «Open Door» (1949 – 1951) ist eine davon, und wie das Eingangszitat schon erahnen lässt: Es eröffnet den Betrachtenden neue Welten starker räumlich-visueller Erfahrungen, vom urbanen Raum New Yorks bis hin zu den Weiten der Wüste. Diese räumliche Komponente von Erfahrung steht am Ursprung der Werkentwicklung, aber auch sozusagen am Ende in ihrer Publikumswahrnehmung. Die Schöpferin dieser Sinneswelten aus Funken, Schwüngen, Farbarabesken und einem ganzen Pinselballett (oder besser gesagt Ausdruckstanz!) auf Leinwand zählt in Kennerkreisen zu den wichtigsten Vertreterinnen des Abstrakten Expressionismus. Dem Winterthurer Museumsdirektor Dieter Schwarz und der Zürcher Galeristin Suzanne Bollag ist ihr langer Atem im Einsatz für das bedeutsame Werk Sekulas hoch anzurechnen, in jüngerer Zeit hat ihr das Kunstmuseum Luzern unter der Direktion von Fanni Fetzer eine Retrospektive gewidmet. Und dennoch kennt sie eine breite Öffentlichkeit hierzulande kaum. Das mag viele Erklärungen haben, die aber alle nicht direkt etwas mit ihrer Kunst zu tun haben: Sie war lesbisch, litt an Schizophrenie und entschied sich für den Freitod. Dabei gehören ihre Gemälde zum Subtilsten, Zartesten und Sinnlichsten, was zum Abstrakten Expressionismus gezählt werden kann. Der einflussreiche und von Sekula sichtlich beeindruckte Musikpionier John Cage schrieb über sie: «She was a very intense person, full of humor, energetic frequently laughing. […] It is a marvelous criticism of our society that when a person becomes that close to Truth about life in general it is a sign that they should be put away.» 2 Und MANON, Sekula-Freundin und mit Schlüsselwerken und Ausstellungen regelmässig im Kunsthaus vertretene Künstlerin, sagte 1996 anlässlich von Sekulas Einzelausstellung im Kunstmuseum Winterthur: «Menschen waren damals nicht aufnahmefähig für diese Art von Kunst, es hat offensichtlich diese Zeit gebraucht, bis man es sieht».3 Diese Worte haben nichts von ihrer Aktualität verloren, im Gegenteil sind sie vermutlich mehr denn je wirkungsvoll, wie die Kunst, um die es geht.
1 Sekula zitiert nach David Hare, «Von New York nach Zürich», in: Dieter Schwarz, Sonja Sekula, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Winterthur und Swiss Institute New York, Winterthur 1996, S. 31.
2John Cage zit. nach Nancy Foote, «Who was Sonia Sekula», in: Art in Amercia, Vol. LIX, Nr. 5 (sept.-oct. 1971), S. 79.
310 vor 10, 13.5.1996, im Replay unter srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/sonja-sekula(abgerufen am 4.1.2024).