
Gülsün Karamustafa
The City and the Secret Panther Fashion, 2007
Als die türkische Künstlerin Gülsün Karamustafa (*1946 in Ankara, lebt in Istanbul und Berlin) dieses Video drehte, 2007, war die Debatte um das Erscheinungsbild von Frauen in der Türkei omnipräsent. Diese Diskussion erscheint heute aktueller denn je, wenn man an die Situation im Iran denkt. Die Künstlerin entwickelte dazu die Idee eines fiktiven Freiraums, in dem Frauen tun können, was ihnen beliebt. Dabei treffen sich fünf Frauen heimlich in einer Istanbuler Stadtwohnung und frönen ihrer Leidenschaft. Diese besteht darin, sich im «Leopardenlook» zu kleiden und darin Spass zu haben. Die Frauen posieren in Kleidern, die mit Tiger-, Jaguar- und Leopardenmustern überzogen sind für Fotos und geben sich zwischendurch kulinarischen Freuden hin – sie vergnügen sich und das ohne Männer! Der «Leopardenlook» weckt ganz unterschiedliche Assoziationen, von Sexyness und Wildheit über Verruchtheit bis hin zur Machtsymbolik von Herrschern, die in früheren Zeiten edle Tierfelle trugen. Das Video wird von einer groovigen Gitarrenmusik begleitet. Zwischentitel in der Anmutung von Stummfilmen der 1920er-Jahre erklären, was die Frauen machen und verleihen den Szenen etwas Zeitloses. Mit dem wiederholt eingespielten Blick auf die Uhr ahnt man bereits, dass die heimliche Auszeit vom eintönigen Tagesablauf ein Ende haben wird. Wieder in ihren Alltagkleidern machen sich drei der Frauen auf den Weg nach Hause, um sich um ihre jeweiligen Familien zu kümmern.
Das Video, das eine Prise Humor enthält, bekräftigt Gülsün Karamustafas feministischen Standpunkt. Es handelt sich um eine Form von Selbstermächtigung, bei der sich Frauen – nicht nur in der muslimischen Welt – keine Kleidervorschriften mehr geben lassen wollen. Zugleich lässt der Innenraum aber an den Harem denken, an den geschützten Wohnbereich, in dem Frauen im ehemaligen Osmanischen Reich (1299 – 1922) unter sich gelebt haben.
Karamustafa hat sich in ihrem Werk wiederholt mit dem sogenannten Orientalismus beschäftigt, also mit dem westlichen Blick auf die muslimische Welt, etwa in der Videoinstallation «From the Outside» (1999) oder in der Fotoinstallation «Porters Loading» (2013). Die orientalistische Malerei, die im 19. Jahrhundert sehr populär war, zeigt Szenen, die das Leben der islamischen Welt darstellen sollen, in Wahrheit jedoch von zahlreichen Stereotypen geprägt sind. Mit dem «Orient» assoziierten die Menschen in Europa einerseits Rückständigkeit, Trägheit und Barbarei, andererseits aber auch Sinnlichkeit und idyllisches Dasein. Gleichzeitig sehnten sie sich nach den fernen Ländern und bewunderten deren Kunsterzeugnisse. Mit Edward W. Saids folgenreicher Studie zum Orientalismus 1978 wurde der Begriff als eurozentrisches Konstrukt mit hegemonialer Haltung stark kritisiert und sorgt in der Wissenschaft noch heute für Uneinigkeit.1 Karamustafas Video «The City and the Secret Panther Fashion» geht jedoch über die Klischees des Orientalismus hinaus und thematisiert die Unterdrückung von Frauen in patriarchalen Gesellschaften im Allgemeinen.2
Karamustafa war 2021 Preisträgerin des Roswitha Haftmann-Preises und das Video Teil der Ausstellung «Re-Orientations. Europa und die islamischen Künste, 1851 bis heute» (siehe Ausstellungen).
1Edward W. Said, Orientalismus, Frankfurt am Main 2009 (engl. Originalausgabe: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London 1978); zu der Kritik siehe insbes. Ibn Warraq, Defending the West. A Critique of Edward Said’s Orientalism, Amherst (NY) 2007; John M. MacKenzie, «The Orientalism Debate», in: Inspired by the East. How the Islamic World Influenced Western Art, Ausst.-Kat. The British Museum, London, London 2019,
S. 16–29.
2Siehe auch: Nadia Radwan, «Interview mit Gülsün Karamustafa», in: Re-Orientations. Europa und die islamischen Künste, 1851 bis heute, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich,
München 2023, S. 62–63.