ABRAHAM CRUZVILLEGAS.
AUTORRECONSTRUCCIÓN: SOCIAL TISSUE
Abraham Cruzvillegas (*1968) untersucht in seinen Skulpturen und raumfassenden Installationen Kunst als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Aufgewachsen ist er in Ajusco, einer Vulkanlandschaft südlich der mexikanischen Hauptstadt. Dort entstanden im Zuge einer Landflucht in den 1960er-Jahren prekäre Eigenbauten, die mit Materialien aus der Gegend ohne Bauplan und ohne Fundament gezimmert wurden. An der Entstehung war jeweils die gesamte Gemeinschaft der Familienmitglieder und Nachbarn beteiligt. Ausgehend von dieser Erfahrung, ist die skulpturale Form für Cruzvillegas ein Prozess des Wandels, der Aktion und der Solidarität. Improvisation, das Arbeiten mit vorgefundenen und weggeworfenen Materialien sowie die Zusammenarbeit mit anderen spielen eine entscheidende Rolle. Das war auch in seiner ersten Schweizer Museumsausstellung im Kunsthaus Zürich so.
Im Vorfeld der Ausstellung durchsuchten Kunsthaus-Mitarbeitende ihre Keller und Estriche nach alten Möbeln und ausrangierten Objekten und stellten diese dem Künstler für seine Skulpturen zur Verfügung. Auch Brockenhäuser halfen bei der Materialbeschaffung mit. So entstand ein bunt gemischter Fundus, aus dem Abraham Cruzvillegas gemeinsam mit seinem Freund und Mitarbeiter Martin Nuñez Skulpturen anfertigen konnte – vor und während der Ausstellung. Die beiden waren aber nicht alleine am Werk: Das Technische Team vom Kunsthaus half bei der Produktion von Kunstwerken tatkräftig mit, genauso wie Studenten der ETH und ein professioneller Skatepark-Bauer. Dieser sorgte dafür, dass die neu gebauten Objekte auch von Skateboardern benutzt werden konnten. Denn alle zwei Wochen verwandelte sich die Ausstellung in einen Skatepark und mehrere hundert Skaterinnen und Skater drehten im Bührlesaal ihre Runden. Daneben fanden wöchentlich Konzerte mit Zürcher Bands statt, welche Songtexte von Abraham Cruzvillegas eigens für die Ausstellung vertont hatten, und jeweils mittwochs wurde einer von Cruzvillegas’ Lieblingsfilmen gezeigt. An den Wochenenden gab es Workshops, u. a. mit den Klimaseniorinnen, die sich im Kampf gegen den Klimawandel engagieren, oder mit der «Abendschule Import», die in der Schweiz lebenden Flüchtlingen die Möglichkeit bietet, ihr Wissen an uns weiterzugeben. Auch Sandra Knecht war mit ihrem «Immer wieder Sonntags»-Essen im Kunsthaus zu Gast.
So verwandelte sich der Bührlesaal für fünf Wochen in eine lebendige Begegnungsstätte für ganz unterschiedliche Akteure und Aktivitäten, die den im Titel angekündigten «Social Tissue» ausmachen. Um diese experimentelle Anordnung bestmöglich zu begleiten, konnte zum ersten Mal am Kunsthaus auch eine Social Media-Strategie umgesetzt werden, die es ermöglichte, das Publikum schnell und direkt per Instagram und Facebook zu informieren. Das Experiment zeigte Wirkung: Es fanden völlig neue Zielgruppen den Weg ins Museum und das Publikum war insgesamt markant jünger.
Zum Ende der Ausstellung erschien ein Katalog in Englisch
und Deutsch. Dieser enthielt ein Gespräch zwischen der Kuratorin und dem Künstler sowie verschiedene vom Künstler ausgewählte Texte, und dokumentierte auch alle Veranstaltungen, die in der Ausstellung stattgefunden
haben.
Unterstützt von Swiss Re – Partner für zeitgenössische Kunst sowie der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung und der artEDU Stiftung.
Mit dieser Sammlungsausstellung rückte das Kunsthaus eine Strömung ins Licht, die für die Malerei der Klassischen Moderne neben der Abstraktion unentbehrlich war – die gegenständliche Kunst. Im Mittelpunkt standen dabei Künstler, die eine präzise, «kristalline» Malweise pflegten, bei der das Zeigen des Pinselstrichs als solchem (wie es die «peinture» pflegte) eher vermieden wird. Dies betrifft sowohl Künstler, die die sichtbare Welt wiedergeben, wie solche, die sich (wie die Surrealisten) Welten der Imagination zuwenden. Von Arnold Böcklin zu Salvador Dalí, von Félix Vallotton zu Adolf Dietrich, von der präzisen Leidenschaft, mit der Henri Rousseau seine fremden Welten schuf, zu René Magrittes scheinbar aus Blättern emporwachsenden Vögeln, das Visionär-Sachliche verbindet sie alle.
Zu sehen waren rund 55 Gemälde von 18 europäischen Künstlern und einer amerikanischen Künstlerin. Mit Ausnahme einer Dauerleihgabe wurden nur Werke der Kunsthaus-Sammlung präsentiert. Die meisten der ausgestellten Werke wurden seit vielen Jahren nicht mehr gezeigt. Sie machten das enorme Potenzial einer gegenständlichen (oder sich gegenständlich gebenden) Moderne erfahrbar. Von der Avantgarde inspiriert und herausgefordert, wendete sich diese Malerei wieder dem Wesen der Dinge zu und fand dafür grundlegend neue künstlerische Ausdrucksformen.
Die Ausstellung wurde unterstützt von Albers & Co AG.
Philippe Büttner
FASHION DRIVE. EXTREME MODE IN DER KUNST
Vom 20. April bis 15. Juli 2018 zeigte das Kunsthaus die fünf Jahrzehnte umspannende Ausstellung «Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst». Rund 230 Werke von sechzig Künstlerinnen und Künstlern – darunter Schwergewichte wie Edouard Manet, John Singer Sargent, Vivienne Westwood und Peter Lindbergh – zeugten davon, wie Kunstschaffende die Modewelt über Jahrhunderte wahrgenommen, kommentiert und beeinflusst haben, aber sich auch von ihr inspirieren liessen.
Die von Cathérine Hug und Christoph Becker kuratierte Ausstellung reichte von malerischen und plastischen Erscheinungen der Renaissance bis in die Gegenwart. Sie umfasste Gemälde, Skulpturen, Installationen, Grafiken und Aquarelle, Fotografien, Filme, Kostüme und Rüstungen. Unter den von den Kuratoren zusammengetragenen Leihgaben waren wahre «Hingucker», wie ein Faltenrockharnisch (1526, KHM-Museumsverband, Hofjagd- und Rüstkammer), der bisher noch nie ausserhalb von Österreich zu sehen war. Auch Werke der English School wie das Ganzkörperporträt «Diana Cecil, later Countess of Oxford» (1614/18, English Heritage, The Iveagh Bequest, Kenwood, London) von William Larkin haben erstmals ihr Heimatland Richtung Schweiz verlassen. Sechzig öffentliche und private Sammlungen haben diese Ausstellung mit Leihgaben unterstützt, darunter die Nationalgalerie Staatliche Museen zu Berlin; The National Gallery, The National Portrait Gallery, die Tate und das Victoria and Albert Museum (alle London); der KHM-Museumsverband (Wien) und die Sammlung Kamer-Ruf (Beckenried/Zug).
Der aufwendig gestaltete Katalog umfasst 328 Seiten und Beiträge von namhaften Autorinnen und Autoren der Modegeschichte und -theorie, d. h. Sonja Eismann, Nora Gomringer, Janine Jakob, Elfriede Jelinek, Inessa Kouteinikova, Monika Kurzel-Runtscheiner, Peter McNeil, Aileen Ribeiro, Franz Schuh, Werner Telesko, Katharina Tietze, Barbara Vinken und Peter Zitzlsperger. Es ist uns damit gelungen, die sowohl im deutsch- wie im englischsprachigen Raum wichtigsten Experten für neue Beiträge zu gewinnen.
Im Rahmen der Ausstellung fanden acht Spezialveranstaltungen statt: «Let’s Talk» mit Jakob Lena Knebl und «Re:Frame Fashion», beide in Zusammenarbeit mit der ZHdK; die rauschende Party «Fashion Ball»; «Mode in der Literatur» mit Marlene Streeruwitz (Schriftstellerin, Wien) und Sarah Sandeh (Ensemble Theater am Neumarkt), in Zusammenarbeit mit Gesa Schneider vom Literaturhaus Zürich; der Millennials-Event mit Nadine Strittmatter und Tobias Kaspar in Kooperation mit Amuze und dem Lifestyle-Magazin Friday; die Gesprächsrunde «Wandel auf dem Catwalk» mit Tamy Glauser; die Sonderführung «Mode und Verbote im 17. und 18. Jahrhundert» mit Janine Jakob; und das von Belén Montoliú (Festspiele Zürich) kuratierte «Seiden-Symposium».
Insgesamt 34 042 Besucherinnen und Besucher haben die Ausstellung im Laufe der 76 Öffnungstage gesehen. Ferner macht der über 300 Seiten umfassende Pressespiegel mit Beiträgen von lokalen Tageszeitungen bis hin zur SRF-Tagesschau und internationalen Medien wie der FAZ, Deutschlandradio und 3SAT deutlich, dass die Ausstellung auf grosse Medienresonanz stiess.
Eine Kooperation mit den Festspielen Zürich. Unterstützt von der Zürcherischen Seidenindustrie-Gesellschaft und durch Swiss Re – Partner für zeitgenössische Kunst.
Cathérine Hug
ROBERT DELAUNAY UND PARIS
«Robert Delaunay und Paris» war die bisher umfangreichste Schau von Delaunays Œuvre in der Schweiz. Sie beleuchtete die Beziehung des Künstlers zu seiner Heimatstadt Paris und zeigte die zentralen Themen auf, die ihn sein Leben lang beschäftigten, nämlich Licht, Farbe und optische Phänomene. Seine Begeisterung für den technischen Fortschritt als Inbegriff der Moderne brachte er in seinen Darstellungen des Eiffelturms deutlich zum Ausdruck. Als einer der wegweisenden Künstler im Paris der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, gründete er zusammen mit seiner Frau Sonia Delaunay-Terk und anderen die Bewegung des Orphismus, die für den Einsatz kräftiger Farben und geometrischer Formen bekannt werden sollte. Die von der Gastkuratorin Simonetta Fraquelli chronologisch aufgebaute Ausstellung vermittelte dem Publikum anhand von rund 80 Gemälden und Arbeiten auf Papier den vielseitigen und zukunftsweisenden Charakter von Delaunays Werk. Beginnend mit seinen «divisionistischen» und vom Stil der Fauves geprägten Porträts der Jahre 1906 bis 1907, zeigte der elegante und grosszügig gestaltete Parcours mehrere bedeutende Beispiele seiner berühmten Serien, etwa die geschwungenen Deckengewölbe der spätgotischen Kirche «Saint-Séverin», seine Darstellungen des Eiffelturms sowie die mit diesen im Zusammenhang stehenden Bilder «La Ville de Paris», in denen Pariser Dachlandschaften, ein gigantisches Riesenrad, Flugzeuge und die Sonne die Bildfläche beherrschen. In der Serie «Les fenêtres» schuf Delaunay eine neue Art von Malerei, die gewissermassen als Gegenstück zum Zusammenspiel von Licht, Raum und Bewegung völlig auf Farbkontrasten basiert. Weitere Schwerpunkte in der Ausstellung bildeten seine abstrakten «Formes circulaires» von 1913 mit dem berühmten Werk «Disque (Le premier disque)», 1913, seine Arbeiten aus dem Jahr 1914, die dem Luftfahrtpionier Louis Blériot gewidmet sind, sowie die Gemälde «Les coureurs» (1924–1925), die sein Interesse an Bewegung und Sport belegen. Einen fulminanten Schlusspunkt setzten Delaunays Entwürfe für das Palais des Chemins de Fer und das Palais de l’Air der Weltausstellung 1937 sowie Werke seiner letzten grossen Gemäldeserie «Rythmes sans fin». Prominent präsentiert wurden in der Ausstellung auch die zwei monumentalen Gemälde «Formes circulaires. Soleil, Lune» (1913–1931) und «Formes circulaires» (1930) aus der Sammlung des Kunsthaus Zürich. Ausschnitte aus Filmdokumentationen bereicherten die Schau ebenso wie ein Zusammenschnitt von Szenen der «Nuit parisienne» aus René Le Somptiers Film «Le P’tit Parigot», 1926, für den Sonia und Robert Delaunay die Kostüme und einen Teil der Ausstattung entworfen hatten.
Avantgardistische Fotografien mit Eiffelturm-Motiven von Künstlern wie Ilse Bing, André Kertész, Germaine Krull, El Lissitzky und Man Ray, die sich ebenfalls vom Stadtgefüge inspirieren liessen, sorgten zusammen mit illustrierten Publikationen und Tafeln aus Krulls Mappenwerk «Métal» für einen weiteren Höhepunkt.
Ein Kulturengagement von Credit Suisse – Partner Kunsthaus Zürich. Unterstützt von der Art Mentor Foundation Lucerne.
Esther Braun-Kalberer
OSKAR KOKOSCHKA. EINE RETROSPEKTIVE
Vom 14. Dezember 2018 bis 10. März 2019 präsentierte das Kunsthaus Zürich Oskar Kokoschka, den Expressionisten, Migranten und Europäer, in seiner ersten Retrospektive nach dreissig Jahren wieder in der Schweiz. Highlights unter den rund 250 Exponaten waren das monumentale Triptychon «Die Prometheus Saga» sowie das «Wandbild für Alma Mahler», welche noch nie in der Schweiz zu sehen waren. Kokoschka gehört mit Francis Picabia und Pablo Picasso zu jener Malergeneration, die an der gegenständlichen Malerei festhielt, als die Abstraktion nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Dominanz etablierte.
Dass heute die gegenstandslose Malerei und die Figuration ohne ideologische Grabenkämpfe nebeneinander
praktiziert werden können, ist auch ihr Verdienst. So berufen sich auch Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart ex- oder implizit auf Kokoschka, unter anderem Nancy Spero, Martha Jungwirth, Georg Baselitz, Herbert Brandl und Denis Savary. Sie schätzen die gestische Artikula-tion seines Pinselstrichs, loben den weltoffenen Charakter des Wieners oder teilen die pazifistische Haltung, die Kokoschkas Werk, sein Leben und Vermächtnis prägen.
Begleitend ist eine 320 Seiten und 500 Abbildungen umfassende Publikation entstanden. Die wichtigsten Kokoschka-Experten konnten für neue wissenschaftliche Beiträge gewonnen werden: Régine Bonnefoit, Iris Bruderer-Oswald, Martina Ciardelli, Birgit Dalbajewa, Heike Eipeldauer, Katharina Erling, Cathérine Hug, Aglaja Kempf, Alexandra Matzner, Raimund Meyer, Bernadette Reinhold, Heinz Spielmann und Patrick Werkner.
Ein umfangreiches Diskusprogramm mit acht Veranstaltungen wurde auf die Beine gestellt, wobei ein Grossteil davon auf 2019 fällt: Kokoschkas Puppe mit Talaya Schmid und Angela Walti, Kokoschka als «entarteter» Künstler mit Bernadette Reinhold (Kokoschka Recherche-Zentrum Wien) in Zusammenarbeit mit dem SIK-ISEA, die Begegnung zwischen Dürrenmatt und Kokoschka beim «Salon Dürrenmatt» mit Madeleine Betschart, Régine Bonnefoit und Peter Nobel in Kooperation mit dem Centre Dürrenmatt Neuchâtel, Rüdiger Görners neue Kokoschka-Biografie, Karl Kraus’ Bedeutung für Kokoschka mit Slam Poet Jurczok 1001 und die Kunsthändler Kokoschkas mit Walter Feilchenfeldt (Co-Autor des Kokoschka-Online-Werkverzeichnisses) und Juri Steiner (Kunsthistoriker und Kurator).
Der Besucherandrang und die Medienresonanz übertrafen bereits in den ersten Tagen der Laufzeit die Erwartungen. Adam Goldmann beschrieb in seinem ganzseitigen Artikel im Wall Street Journal seinen Eindruck des Ausstellungsrundgangs wie folgt: «The effect of having journeyed so far through time is staggering. Nearly four decades after Kokoschka’s death, the Kunsthaus Zurich has given us new hope that his singular artistic universe will endure.»
Unterstützt von UNIQA Österreich Versicherungen AG, Kunstversicherung Schweiz, die als Hauptsponsorin auch die Restaurierung des Triptychons «Die Prome-theus Saga» ermöglicht hat; dem Bundesamt für Kultur, der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung, der Parrotia-Stiftung, der Boston Consulting Group, der Truus und Gerrit van Riemsdijk Stiftung, der Else v. Sick Stiftung, der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung und dem Österreichischen Kulturforum. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Leopold Museum, Wien, wo sie im Anschluss zu sehen war.